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Börsen-Zeitung: Eine neue verlorene Dekade, Kommentar zu den Finanzmärkten von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

An die Finanzmärkte ist in den vergangenen
Wochen der Realitätssinn der Anleger zurückgekehrt. Die Vorstellung 
einer V-förmigen Konjunkturerholung, die sich durch einige 
tatsächliche und zahlreiche vermeintliche "Green Shoots" - also zarte
Frühlingsboten in Gestalt freundlicher konjunktureller 
Frühindikatoren - in den Köpfen der Investoren festsetzte, hat sich 
als Illusion erwiesen. In der Folge ist der Dax von einem Stand 
jenseits der 5100 Punkte per Anfang Juni auf jetzt rund 4700 Punkte 
abgesackt. Möglicherweise geht es noch weiter abwärts.
Dies dürfte jedoch nicht darauf hinauslaufen, dass mit einem 
Absturz der Märkte oder gar mit einem neuen Ausloten der Tiefpunkte 
der Krise, wie es sie im Frühjahr gegeben hat, zu rechnen ist. 
Jedenfalls nicht wenn man das derzeit wahrscheinlichste Szenario 
zugrunde legt. Es könnte jedoch auch ganz anders kommen. Investoren 
sollten sich in der aktuellen Situation, die nach wie vor durch die 
Krise geprägt ist, mit Worst-Case-Szenarien auseinandersetzen und im 
Sinne eines "Crash-Tests" überprüfen, wie hoch ihre Verluste in 
derartigen Situationen wären.
Bereits in dieser Zeitung vorgestellt worden ist die Perspektive, 
dass es aufgrund der überreichlichen Liquiditätsversorgung der Märkte
durch die Notenbanken und der großen Schwierigkeiten bei der 
Beseitigung der Überschussliquidität in den nächsten Jahren zu einer 
Reihe von Überbewertungsblasen kommen könnte, die dann in vielleicht 
fünf Jahren in die nächste große Finanzkrise münden (vgl. BZ vom 18. 
Juni).
Ein ganz anderes Szenario erregt derzeit vor allem bei US-Anlegern
erhebliches Aufsehen. Aufgebracht haben das Thema zwei renommierte 
Ökonomen, nämlich Barry Eichengreen von der University of California 
in Berkeley und Kevin O'Rourke, Professor am Trinity College in 
Dublin. Sie warnen, dass es verblüffende Übereinstimmungen zwischen 
der gegenwärtigen Entwicklung makroökonomischer Schlüsselgrößen gibt 
und derjenigen nach dem Crash von 1929, die dann in die Große 
Depression der folgenden Jahre mündete. Wenn die Experten recht 
haben, müssen Anleger die Möglichkeit einer tiefgreifenden Depression
in ihr Anlagekalkül zumindest mit einbeziehen und daher ihre 
Portfolios deutlich konservativer ausrichten als normalerweise gegen 
Ende einer Rezession.
Auffällig ist jedenfalls, dass, wenn man die Fieberkurven aus den 
beiden Zeitabschnitten übereinanderlegt, die weltweite 
Industrieproduktion aktuell in gleich starkem Maße absackt wie in den
dreißiger Jahren. Beim Volumen des Welthandels und auch bei den 
Kursniveaus der Aktienmärkte seien die Einbrüche sogar deutlich 
dramatischer und rascher erfolgt als in der Krise vor 80 Jahren. Den 
beiden Ökonomen zufolge ist erst ein Jahr einer möglicherweise erneut
zehn Jahre dauernden Depression vorüber. Es drohe damit wie in den 
dreißiger Jahren eine aus ökonomischer Sicht verlorene Dekade.
Alten Fehler wiederholt
Nun lässt sich gegen eine solche Argumentation einwenden, dass die
Geldpolitik der Notenbanken und die Fiskalpolitik der Regierungen 
aktuell eine ganz andere ist als zur Zeit der Weltwirtschaftskrise, 
als schwere Fehler gemacht wurden. Hier kommt US-Nobelpreisträger 
Paul Krugman ins Spiel. Er argumentiert, dass wir uns längst in einer
Liquiditätsfalle befinden, in der konventionelle Geldpolitik ihre 
Wirkung global eingebüßt hat. Die unkonventionellen Maßnahmen der 
Notenbanken sowie die Rettungs- und Konjunkturpakete der Regierungen 
seien zwar goldrichtig gewesen. Sie würden jetzt aber schon wieder 
zurückgefahren.
Genau dieser Fehler sei auch in den dreißiger Jahren gemacht 
worden, als Präsident Franklin D. Roosevelt den "New Deal" abbrach 
und auf Haushaltskonsolidierung umschaltete, flankiert von einem 
steigenden Leitzins der Fed. Dies habe wieder zurück in die Rezession
geführt. Auch Krugman spricht daher von einer verlorenen Dekade, die 
uns droht.
Mit Blick auf diese Gefahren liegen Privatanleger nicht falsch, 
wenn sie zwar noch nicht wieder auf Krisenstimmung umschalten, sich 
aber mental darauf einstellen, notfalls aus risikoreicheren 
Assetklassen wie Aktien, Emerging Markets, Unternehmensbonds, 
Rohstoffen etc. rasch wieder auszusteigen.

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