Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ungarn von Maria Gruber
Regensburg (ots)
Ungarn steht kurz vor dem Staatsbankrott. Die dritte große Agentur hat inzwischen die Kreditwürdigkeit des Landes auf Ramsch-Niveau herabgestuft, der Forint verfällt, Budapest muss hohe Aufschläge hinnehmen, um überhaupt noch an Kredite zu kommen. Kurz: Ungarn steht das Wasser bis zum Hals. Will es nicht pleitegehen, braucht es Finanzhilfen von EU und dem Internationalem Währungsfonds (IWF) - und das so schnell wie möglich. Schuld an der Misere ist nicht etwa eine anti-ungarische Weltverschwörung, die der rechtskonservative Ministerpräsident Viktor Orban gerne wittert. In Wirklichkeit ist der Premier mit seiner "unorthodoxen Wirtschaftspolitik" gescheitert. Angewiesen sein auf die Hilfe anderer - das passt so gar nicht zum ungarischen Premier, der sich dem "wirtschaftlichen Freiheitskampf" verschrieben hat und auch sonst unbeirrbar vermeintliche nationale Interessen durchsetzt: Denn er, Viktor Orban, wurde vom Volk mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit ausgestattet. Und diese nutzt er, um demokratische Rechte und Freiheiten, die nicht nur in der EU - eigentlich - zum unantastbaren Grundkonsens gehören, infrage zu stellen. Zum Beispiel durch eine Reform der ungarischen Zentralbank, durch die die Regierung direkten Einfluss auf die Notenbank nehmen kann - ein Verstoß gegen EU-Recht und der Grund, warum der IWF mit Ungarn über Finanzhilfen abgebrochen hatte. Doch Not, so besagt ein Sprichwort, kann eine großartige Schule sein. Und tatsächlich zwingt die Finanzlage die ungarische Regierung zur Kompromissbereitschaft. Orban dämmert inzwischen, dass er keine Solidarität zu erwarten hat, wenn er nicht aufhört, permanent gegen die Spielregeln zu verstoßen. Er signalisiert Verhandlungsbereitschaft - und gleichzeitig erhöht die EU-Kommission den Druck. Sie prüft, ob wegen des Notenbank-Gesetzes gegen Ungarns Regierung ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden kann, das Strafzahlungen in Millionenhöhe zur Folge hätte. Darüber hinaus möchte sich die EU-Kommission aber nicht mit der Regierung Orban beschäftigen, ließ eine Sprecherin gestern verlautbaren. Ein schwerer Fehler. Die Kommission, der im Machtgefüge der EU die Rolle der Hüterin der Verträge zukommt, lässt damit eine einmalige Gelegenheit verstreichen, Ungarn, das so dringend auf Geld angewiesen ist, zum politischen Kurswechsel zu zwingen. Denn das Land droht in den Autoritarismus abzurutschen. Die neue Verfassung Ungarns gibt Orban nahezu unumschränkte Vollmachten - nicht nur die Unabhängigkeit der Notenbanken, sondern auch die der Justiz sind de facto beendet. Die Medien wurden schon Monate zuvor durch ein Gesetz zum Spielball der Regierung. Rein nationale Angelegenheiten sind diese Gesetze schon lange nicht mehr. Ein Mitgliedstaat der Europäischen Union tritt fundamentale Grundwerte der Gemeinschaft mit Füßen. Doch der große Aufschrei derer, die sonst im Spiel der Mächte gerne die Führungsrolle an sich reißen, bleibt aus. Nicht etwa, weil sie keine Handhabe hätten. Artikel 7 des EU-Vertrags böte die Möglichkeit, ein sog. "Grundwerte-Verfahren" zu initiieren, anhand dessen Staaten bestraft werden können, die gegen die Menschenwürde, die Freiheit, die Demokratie, die Gleichheit, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte verstoßen. Damit würde die EU nicht nur beweisen, dass sie in der Lage ist, Recht mit Leben zu erfüllen, sondern auch, dass ihr der Schutz der gemeinsamen Werte wichtig ist - ebenso wichtig wie die Rettung einzelner Mitgliedsländer vor der Staatspleite.
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