Alle Storys
Folgen
Keine Story von Universität Osnabrück mehr verpassen.

Universität Osnabrück

Sportprofessor der Uni Osnabrück: „Sportunterricht muss mehr sein als ‚Höher, schneller, weiter‘“

Sportprofessor der Uni Osnabrück: „Sportunterricht muss mehr sein als ‚Höher, schneller, weiter‘“
  • Bild-Infos
  • Download

Seit diesem Jahr hat Prof. Dr. Benjamin Zander die Professur „Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sport und Gesellschaft“ an der Uni Osnabrück inne. Ein Gespräch über den Sinn von Sportnoten, Schamgefühle in der Umkleidekabine und den Sportunterricht der Zukunft.

„Sportunterricht muss mehr sein als ‚Höher, schneller, weiter‘“

Uni Osnabrück: Prof. Dr. Benjamin Zander über den Sportunterricht der Zukunft

Seit diesem Jahr hat Prof. Dr. Benjamin Zander die Professur „Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sport und Gesellschaft“ an der Uni Osnabrück inne. Ein Gespräch über den Sinn von Sportnoten, Schamgefühle in der Umkleidekabine und den Sportunterricht der Zukunft.

Herr Prof. Zander, haben Sie als Schüler den Sportunterricht gemocht?

Ja, auf jeden Fall! Das war auch eine zentrale Motivation, das Fach zu studieren.

Was für Sport haben Sie denn getrieben?

Ich habe Fußball gespielt, gerudert, Ringen war dabei und Aikido, aber ich war auch einfach immer viel draußen, bin Inliner und Skateboard gefahren, war viel in der Natur. Dort, wo ich aufgewachsen bin, in der Nähe von Dortmund, hatte ich eine typische Straßenkindheit und bin mit einer Horde von Kindern um die Häuser gezogen.

Das klingt toll! Aber können Sie auch nachvollziehen, dass viele Kinder den Sportunterricht gar nicht mögen und auch Erwachsene oft ungute Erinnerungen an ihn haben?

Ja, natürlich, und oft hat das mit der schulischen Rahmung zu tun. Das Tolle an Sport ist ja, dass man ihn sehr breit denken und sehr individuell gestalten kann. Ich gehe raus und überlege mir: Wie lange laufe ich heute und wo laufe ich entlang? Sportunterricht ist hingegen oft ein großformatiges Angebot, bei dem alle das Gleiche machen müssen, und das über einen längeren Zeitraum hinweg.

Hinzu kommt, dass beim Sport der ganze Körper zur Disposition steht. Und ein Körper hat – trotz aller Anstrengungen - nun mal seine Limitationen, sei es bei der Größe oder beim Gewicht, auf das man auch nur bedingt Einfluss nehmen kann. Es kann Schülerinnen und Schüler tief treffen, wenn ihr Körper auf einmal so sichtbar gemacht wird. Manche Schülerinnen und Schüler entwickeln daher Vermeidungsstrategien.

Sie suchen Ausreden, um nicht am Sportunterricht teilnehmen zu müssen?

Ja. Und es kommt noch eine zweite Komponente hinzu: Sport wird in unserer Gesellschaft ziemlich überhöht. Peers (Gleichaltrige) erkennen es an, wenn jemand sehr sportlich ist, auch die Krankenkassen fördern sportliche Aktivitäten – da kann man schlecht sagen: Mit Sport habe ich nichts mehr zu tun. Vom Sportunterricht wird daher mehr verlangt als bloße Bewegungsangebote: Er muss auch Räume für Reflexion und Urteilskompetenz schaffen, damit Kinder und Jugendliche u.a. lernen, die gesellschaftliche Bedeutung von Bewegung, Spiel und Sport kritisch einzuordnen.

Sportunterricht lässt sich ja noch steigern: Schwimmunterricht! Hier erreicht das Thema Scham noch einmal eine ganz andere Stufe – vor allem in der Pubertät, wenn der ganze Körper im Umbau ist. Wie können Lehrkräfte Schülern ihre Ängste nehmen?

Das Wichtigste ist zu wissen: Das ist ein sehr intimes Miteinander. Wer mit Vereinssport groß wird und das gemeinsame Duschen kennt, für den mag es selbstverständlich sein. Doch Sportlehrer müssen sich in Schülerinnen und Schüler hineindenken können, die mit weniger Freizügigkeit groß geworden sind. Ein Ansatz kann es sein, die Mitnahme von Handtüchern in die Schwimmhalle zu erlauben, so dass man sich außerhalb des Beckens bedecken kann, und für lange Zeiten im Wasser zu sorgen; also dass es nicht immer raus und rein ins Wasser geht. Und auch bei der Umkleidesituation sollte man nicht einfach in eine Sammelumkleide für Jungs und eine für Mädchen einteilen, sondern es ermöglichen, sich in kleineren Freundesgruppen umzuziehen. Zudem bin ich dafür, sich dafür stark zu machen, auch Menschen, die sich nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen, einen Raum zu geben.

Wer über Sportunterricht diskutiert, kommt schnell auf die Bundesjugendspiele oder Sportnoten zu sprechen. Finden Sie, dass Noten für den Sportunterricht abgeschafft werden sollten?

Noten sind gar nicht so sehr das Problem – eher der Ton, in dem man Schüler anspricht. Ohne Noten hätte ich die Sorge, dass das Fach entwertet werden könnte. Ziel ist es, Schülerinnen und Schülern einen Zugang zu schaffen, der sie motiviert, Sport nicht nur in der Schule, sondern auch im Alltag und langfristig für ihr Leben als Ressource für Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung zu begreifen. Und unter Bezugnahme auf solche Zielstellungen ist die Bewertung im Sportunterricht tatsächlich sehr komplex. In der Praxis werden daher häufig die Leistungsaspekte eines „Höher, schneller, weiter“ herangezogen, die vergleichsweise einfach messbar sind. Das macht deutlich, wie herausfordernd es ist, den weitreichenden Ansprüchen des Curriculums gerecht zu werden.

Wie kann es besser gehen? Wie sieht der Sportunterricht der Zukunft aus?

Ich denke, dass Sport viel breiter gedacht werden muss. Wir sollten zwar die normierten und kanonisierten Sportarten im Blick haben, auch weil diese eine wichtige Tradition haben und teils als Kulturgüter gelten. Wenn daneben jedoch stärker auf freie Bewegung und Spiel gesetzt wird und zugleich pädagogische Zielstellungen in individualisierten Lernsettings in den Vordergrund rücken, dann sehen Schülerinnen und Schüler vielleicht auch mehr Sinn in den Angeboten, können sich besser selbst entfalten und kreativ sein. In der Schule und außerhalb.

Zur Person: Nach Stationen an der TU Dortmund und der Uni Göttingen hat Prof. Dr. Benjamin Zander seit dem 15. März 2025 die Professur „Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sport und Gesellschaft“ an der Uni Osnabrück inne. Das Thema seiner Habilitationsschrift lautete „Sport im Übergang vom Kindes- zum Jugendalter. Empirische Beiträge zur Peerforschung in Schule und Freizeit“

Zu der Reihe: In der Interviewreihe „UOS fragt nach“ beziehen Expertinnen und Experten der Uni Osnabrück im Gespräch mit der Pressestelle Stellung zu aktuellen, alltäglichen und vieldiskutierten Themen. Von Politik bis Pädagogik, von Kunst bis KI – UOS fragt nach.

Weitere Informationen für die Medien:

Prof. Dr. Benjamin Zander, Universität Osnabrück

Institut für Sport und Bewegungswissenschaften

E-Mail: benjamin.zander@uni-osnabrueck.de

Cornelia Achenbach, Universität Osnabrück
Kommunikation und Marketing / Redakteurin
Neuer Graben 29/Schloss, 49074 Osnabrück

E-Mail: cornelia.achenbach@uni-osnabrueck.de

Weiteres Material zum Download

Dokument:  01_UOS_fragt_nach_Zander.docx