Alle Storys
Folgen
Keine Story von Landeszeitung Lüneburg mehr verpassen.

Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Lebensthema Freiheit und Demokratie
Rainer Eppelmann lobt Bundespräsidenten-Kandidat Gauck - Fähigkeit zu Ausgleich und Versöhnung

Lüneburg (ots)

Am 18. März tritt die Bundesversammlung zusammen, um Joachim Gauck, den Kandidaten von Union, Liberalen, SPD und Grünen, zum neuen Bundespräsidenten zu wählen. Rainer Eppelmann, einst regimekritischer Pfarrer in der DDR, sieht in dem 72-jährigen Rostocker ein glaubwürdiges und souveränes Staatsoberhaupt, aber keinen Heiligen.

Joachim Gauck, der "Bundespräsident der Herzen" - gilt das auch für Sie?

Rainer Eppelmann: Ich mag die Formulierung nicht, weil das an eine tote Prinzessin erinnert. Ich sage mit dem Herzen Ja, ich sage aber auch mit dem Verstand Ja. Joachim Gauck ist für mich ein überzeugender Kandidat und ich bin sehr froh darüber, dass die Bundeskanzlerin die Souveränität und Klugheit gezeigt hat, sich für einen Kandidaten zu entscheiden, der vor nicht allzu langer Zeit von der SPD vorgeschlagen worden ist - in dem Wissen, dass er kaum eine Chance hatte, gewählt zu werden. Ich glaube, wir werden einen guten, menschlich sehr nahen und geistvollen, streckenweise sogar weisen Bundespräsidenten bekommen. Und einen, der nicht als Politiker auf die Welt gekommen ist und auch nicht schon als Konfirmand davon geträumt hat, politisch Karriere zu machen.

Wollten SPD, Grüne und am Ende auch die FDP die Kanzlerin mit diesem Kandidaten also vorführen?

Eppelmann: Das weiß ich nicht. Aber wenn man sie fragte, würden sie alle natürlich sagen, sie hätten immer nur den Besten im Blick gehabt. Ich erinnere aber daran, dass die SPD auch einmal eine Frau im höchsten Staatsamt sehen wollte. Aber als sie dann eine sichere Mehrheit in der Bundesversammlung hatte, wurde es ein alter Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen.

Sehen Sie Kanzlerin Merkel nach Philipp Röslers Coup in der Koalition geschwächt?

Eppelmann: Nein. Wenn man sich auch politisch verändern kann, ist das ein Ausdruck von Stärke. Wenn jemand geschwächt ist, dann sind es die Liberalen in ihrem Verhältnis zum großen Koalitionspartner. Es gibt ja nun kaum jemanden, der sagt: Herr Rösler, wir danken Ihnen und ihrer Partei dafür.

Hat Sie Gaucks zweiter Anlauf auf das Präsidialamt überrascht?

Eppelmann: Ja, ich war erstaunt, aber nicht über Joachim Gauck, sondern über Angela Merkel. Bei allem Respekt, den ich vor der Kanzlerin habe, hätte ich ihr nicht zugetraut, dass sie einen Kandidaten mitträgt, der vom politischen Gegner ins Rennen geschickt worden ist.

War es richtig und klug von der Kanzlerin, die Linke bei der Kandidatenfindung auszuschließen?

Eppelmann: Diese Frage hat für mich keinen Stellenwert. Ich muss damit leben, dass diese Partei im Deutschen Bundestag vertreten ist, Ich kann und will aber nicht vergessen, dass ein Teil der Mitglieder der Linken früher jener Partei angehört hat, die für 40 Jahre Diktatur verantwortlich war.

Joachim Gauck lobt Sarrazin, nennt die Occupy-Bewegung "albern" und verteidigt Hartz IV. Ist Gauck eher ein Polarisierer denn ein Versöhner?

Eppelmann: Er hatte ja als Pfarrer eine ganze Reihe von Jahren die Aufgabe, eine Gemeinde zusammenzuhalten, und das ist ihm - soweit ich das aus der Berliner Ferne zu Rostock beurteilen kann - gelungen. Er hat in der demokratischen DDR eine nicht unwesentliche Rolle in seiner Fraktion gespielt, sonst wäre er nicht für die Leitung der Stasi-Unterlagen-Behörde infrage gekommen. Auf diesem ausgesprochen komplizierten Feld hat er zehn Jahre lang mit einem hohen Grad an Emotionalität Führungsstärke und die Fähigkeit zum Ausgleich bewiesen. Dass dort sogar frühere Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit Arbeit gefunden haben, hat ihm nicht nur Freunde beschert und gezeigt, dass Gauck bereit ist, die Hand zum Ausgleich und zur Versöhnung zu reichen. Dass er trotzdem jemand ist, der seine Meinung sagt, schätze ich sehr.

Was ist Gaucks größte Stärke?

Eppelmann: Dass er ein wacher Kopf ist, exzellent formulieren kann und dass er bei allem nicht nur sich selbst sieht, sondern auch die anderen. Ich glaube, dass er - so wie übrigens auch Horst Köhler - sehr schnell den Zugang zu den ganz normalen Menschen finden wird. Aber immer auch Widerspruch findet: Ich glaube auch nicht, dass wir in Deutschland Friedhofsruhe brauchen. Wenn alle einer Meinung sind - das habe ich 40 Jahre in der DDR erlebt, trägt das nicht zur Entwicklung bei. Ein Bundespräsident muss und kann nicht immer die Meinung aller Menschen vertreten.

Die Freiheit ist Gaucks Lebensthema. Kritiker wie Friedrich Schorlemmer halten Gauck vor, die Themen Gerechtigkeit und Ökologie zu vernachlässigen. Teilen Sie diese Ansicht?

Eppelmann: Ich bin überrascht, wie genau Friedrich Schorlemmer Joachim Gauck zu kennen glaubt. Ich kann gut verstehen, dass Freiheit das zentrale Thema eines Menschen ist, der die DDR, die Diktatur, die Unfreiheit von der ersten bis zur letzten Stunde miterlebt hat. Die Beispiele Sarrazin und Occupy zeigen, dass es auch andere Themen gibt, zu denen Gauck eine Meinung hat. Ich finde es ungerecht zu sagen, er habe nur ein Thema. Das wird Joachim Gauck nicht gerecht.

Welche Schwerpunkte erwarten Sie darüber hinaus vom künftigen Bundespräsidenten?

Eppelmann: Sein langes ehrenamtliches Engagement in dem Verein "Gegen Vergessen - für Demokratie", dem Mitglieder fast aller gesellschaftlichen Gruppen angehören, zeigt, dass er ein sehr verbindender Mensch ist. Mit dem Namen des Vereins ist im Grunde gesagt, was er meint. Und deshalb habe ich die große Hoffnung, dass diejenigen in diesem Land, die Diktatur und Unfreiheit nie persönlich erlebt haben, begreifen, dass Demokratie trotz aller Allttäglichkeit, trotz mancher Ungerechtigkeit und Gleichgültigkeit eine große Kostbarkeit ist.

Welche Bedeutung hat Ihrer Ansicht nach die Tatsache, dass nun zwei ostdeutsche Protestanten im Kanzleramt und im Schloss Bellevue amtieren werden?

Eppelmann: Ich habe den Eindruck, der Prozess der Vereinigung ist viel viel weiter, als manche meinen. Und im zweithöchsten Staatsamt haben wir mit Norbert Lammert ja auch noch einen Katholiken.

Wie haben Sie die Causa Wulff wahrgenommen? Ist Deutschland eine Mediokratie?

Eppelmann: Ich glaube schon, dass vieles von dem, was geschrieben und gesagt worden ist, die öffentliche Meinung wiedergegeben hat. Mir ist aber manches zu hektisch, zu mörderisch und zu scheinheilig gewesen. Ich denke da an dieses leidige Fernsehinterview, an die Behauptung von Bettina Schausten, sie würde für die Übernachtung bei Freunden 150 Euro auf den Tisch legen - die hat entweder keine Freunde oder sie hat gelogen. Das zeigt den Geist, den sie selbst mit in dieses Gespräch hineingebracht hat. Auch die, die politische Verantwortung übernehmen in unserem Land - bis hin zum Bundespräsidenten, sind keine Heiligen, sondern auch nur Menschen mit Fehlern, mit Schwächen, hoffentlich auch mit genügend Stärken und Souveränität. Ich bin sicher, all das hat auch Joachim Gauck. Mir fällt ein Satz von Gerhard Rötting ein, dass ich in meinem Losungsheft für den heutigen Tag fand. Er sagte: Es gibt keine Heiligen ohne Vergangenheit und keine Sünder ohne Zukunft.

Geht es die Öffentlichkeit etwa an, ob ein Bundespräsident verheiratet ist oder nicht?

Eppelmann: Ich kann den CSU-Mann Norbert Geis durchaus verstehen. Als junger Pfarrer bin ich anfangs absichtsvoll im Anzug und nicht im Talar vor die Gemeinde getreten, um zu zeigen: Ich bin einer von euch. Ich fühlte mich dabei ungeheuer gut. Bis beim dritten Gottesdienst ein Gemeindemitglied zu mir kam und sagte: "Herr Pfarrer, jetzt traue ich mich zu fragen - warum ziehen sie eigentlich keinen Talar an? Ich kann Ihnen gar nicht richtig zuhören, weil ich immer bloß an diese Frage denke." Von da an habe ich einen Talar getragen, weil ich wollte, dass die Menschen sich nicht an mir stoßen, sondern mir zuhören. Ich kenne die Gründe für Joachim Gaucks familiäre Verhältnisse nicht, vielleicht hat das etwas mit dem Ethos zu tun, dass man sich als Pfarrer nicht scheiden lässt. Ich glaube, dass er sehr aufmerksam verfolgt, was an dieser Stelle passiert. Er muss sich fragen, ob es ihm wichtig ist, darauf einzugehen, damit die Leute ihm zuhören und sich nicht über Nebensächlichkeiten ärgern.

Braucht Deutschland überhaupt einen Bundespräsidenten ohne echte Macht, dessen Nominierung zudem regelmäßig auch ein Machtspiel ist?

Eppelmann: Wenn ich mir die Geschichte der Bundesrepublik ansehe, hat sie möglicherweise nicht jeden Präsidenten wirklich gebraucht. Es hat aber auch keiner von ihnen dem Land und den Menschen so sehr geschadet, wie mancher Kaiser oder König, der seinen Titel qua Geburt führte. Das gilt auch für Christian Wulff, der ja immerhin ein Stück wache Demokratie hervorgerufen hat, und an der ist er ja letztlich auch gescheitert. Es sind aber auch einige Bundespräsidenten richtig gut gewesen, haben Sätze formuliert, die bis heute nachklingen, etwa Gustav Heinemann oder Richard von Weizsäcker - fairerweise müsste man noch einige mehr nennen. Ich meine, es sollte uns etwas wert sein, in einer funktionierenden Parteiendemokratie jemanden zu haben, der zwar von den Parteien bestimmt wird, aber in seinem Amt - wenn er es ernst nimmt - eine hohe parteipolitische Unabhängigkeit und große öffentliche Aufmerksamkeit genießt. Wer einen mächtigeren Präsidenten wie in Frankreich oder den USA will, muss das System ändern und die Macht des Kanzleramtes beschneiden.

Das Gespräch führte Klaus Bohlmann

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

Original-Content von: Landeszeitung Lüneburg, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Landeszeitung Lüneburg
Weitere Storys: Landeszeitung Lüneburg