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Landeszeitung Lüneburg

Landeszeitung Lüneburg: Sigmar Gabriel im Interview zum Klimaschutz: "Ökologisch unbelehrbare Länderfürsten"

Lüneburg (ots)

Klimaschutz ist Chefsache -- zumindest für den
mächtigsten Mann der Welt. Deshalb gewährte US-Präsident Barack Obama
jüngst Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Privataudienz. 
Als Wahlkämpfer hatte Obama Deutschland als vorbildlich gelobt, jetzt
wurde er von Gabriel gedrängt, sich Deutschland als Vorbild zu 
nehmen. "Von einer Führungsrolle sind die USA noch weit entfernt. 
Aber wir wollen eine Aufholjagd sehen." Für die Klimapolitik von 
Bundeskanzlerin Merkel findet Gabriel Lob. Fatal sei nur, dass die 
Unionsministerpräsidenten diese Politik konterkarierten. Gabriel 
erwartet auch in punkto Ökologie einen Richtungswahlkampf.
Umweltschutz könne man sich in Zeiten der Krise nicht mehr 
leisten, meint die australische Regierung. Fürchten Sie Nachahmer?
Sigmar Gabriel: Als Bundesumweltminister muss man immer fürchten, 
dass sich die Dinosauriertechnologien durchsetzen. In Australien ist 
es die Kohleindustrie, die Druck auf die Regierung ausgeübt hat. In 
Deutschland kommen derartige Bestrebungen weniger von den Unternehmen
selbst, als vielmehr von Verbandsvertretern. Die meisten Unternehmer 
wissen längst, dass man mit einer ambitionierten Umweltschutzpolitik 
wirtschaftlichen Erfolg haben und Arbeitsplätze schaffen kann. Ein 
Beispiel: Die Mehrzahl der im Handwerk neu geschaffenen Jobs geht 
direkt auf das Gebäudesanierungsprogramm der Bundesregierung zurück. 
Und allein bei den erneuerbaren Energien sind es heute schon 280.000 
neue Arbeitsplätze in Deutschland. Das wollen wir jetzt verdoppeln.
Der Verbandsvertreter der deutschen chemischen Indust"rie meinte 
jüngst, man könne sich die teuren CO2-Emissionspreise in der Krise 
nicht mehr leisten. Bekämen solche Stimmen unter einer bürgerlichen 
Regierung mehr Gehör?
Gabriel: Zunächst verwahre ich mich gegen den Begriff "bürgerliche
Parteien". Sind Sozialdemokraten und ihre Wählerinnen und Wähler 
keine Bürger mehr? Dieser Kampfbegriff von CDU und FDP aus den 
60er-Jahren wollte damals schon die Gesellschaft in "gut" und "böse" 
spalten und will es heute wieder. Zum Thema Chemieindustrie: Gerade 
diese Branche ist von den Kosten des CO2-Emissionshandels zu großen 
Teilen ausgenommen -- und zwar so lange, bis international gleiche 
Bedingungen herrschen. Und genau das wollen wir ja bei der 
Klimakonferenz Ende des Jahres in Kopenhagen schaffen. Trotz dieser 
Ausnahmen erreicht Deutschland seine Umweltschutzziele. Als einziges 
Land erfüllen wir die Kyoto-Vorgaben für 2012 bereits jetzt. Doch das
ist uns nur gegen massive Widerstände gelungen: Wann immer die 
Bundeskanzlerin am Wochenende auf Klimagipfeln gute 
Umweltschutzpolitik machte, versuchten CDU/CSU und FDP dies zwischen 
Montag und Freitag zu unterlaufen. Nicht zuletzt kommt Widerstand aus
den Ländern, ob von Herrn Wulff, Herrn Rüttgers oder Herrn Seehofer. 
Dahinter steckt ein großes Stück Unbelehrbarkeit. Hätten die 
Ministerpräsidenten in der Finanzkrise etwas gelernt, müssten sie 
wissen, dass der schnelle Euro, den wir heute machen, weil wir auf 
Klimaschutz verzichten, unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen 
kommen wird. Und was noch schlimmer ist: Wulff und Co. verhindern 
ausgerechnet in der Wirtschaftskrise den Aufbau neuer Arbeitsplätze.
China holt zwar bei Solarenergie auf, verweigert sich aber bei der
Treibhausgasverringerung verbindlichen Zusagen. Wie kann der 
erwachende Gigant ins Boot geholt werden?
Gabriel: Peking macht in der Tat sehr viel, will sich aber auf 
seine Aktivitäten nicht international verpflichten lassen. Eine 
Haltung, die viele Entwicklungs- und Schwellenländer teilen. Das ist 
wie bei kommunizierenden Röhren: Je mehr die Industrieländer bereit 
sind zu tun, desto mehr Zugeständnisse gibt es von den Ländern, die 
jetzt beim Wohlstand aufholen wollen. Und auf Anstrengungen dieser 
Länder sind wir angewiesen. Denn so viel ist klar: Selbst wenn wir 
die Emissionen der Industrieländer auf null bringen würden, könnten 
wir den Klimawandel nicht bremsen. Dazu bedarf es erheblicher 
Beiträge der Entwicklungsländer. Dabei müssen wir sie natürlich 
unterstützen. Deutschland setzt bereits jetzt Einnahmen aus dem 
Emissionshandel für Klimaschutzprojekte etwa zum Schutz der 
Regenwälder oder bei der Energieeffizienz in ärmeren Ländern ein. Es 
wird in Kopenhagen auch darum gehen, dass hier andere Industrieländer
nachziehen.
China sitzt wie Australien auf großen Kohlevorräten. Unterliegt 
globales Verantwortungsbewusstsein zwangsläufig nationalen 
Interessen?
Gabriel: Solange es keinen internationalen Vertrag gibt -- mit 
Sicherheit. Deswegen streben wir echte Sanktionen für 
vertragsbrüchige Staaten an. Aber weil es diese riesigen Kohlevorräte
gibt, sind sich die Klimaforscher einig, dass wir die CO2-Abscheide- 
und -Abspeichertechnik brauchen, wenn wir im Klimaschutz 
international vorankommen wollen. Noch lässt diese Technologie einige
Fragen offen. Doch es ist richtig, dass sich die EU entschlossen hat,
diese zu beantworten. In typisch deutscher Mentalität zu sagen, wir 
möchten gerne jedes Risiko ausschließen und deshalb verzichten wir 
auf diese Technologie, ist keine Lösung. Wir brauchen ein Höchstmaß 
an Sicherheit. Wer aber die noch offenen Fragen bei CO2 mit den 
Problemen beim Atommüll vergleicht, verniedlicht die Atomenergie. In 
anderen Ländern wird die CO2-Speichertechnologie längst beherrscht. 
So sind in Norwegen sogar die Grünen dafür, dass CO2 in alten 
Erdgasspeichern abgelagert wird.
Gelingt im Dezember in Kopenhagen ein Weltklima"abkommen?
Gabriel: Ich bin optimistisch. Auch, weil sich das 
Verhandlungsklima mit der US-Administration verändert hat. Künftig 
können sich China, Russland, Australien oder Kanada nicht mehr hinter
dem Klimasünder USA verstecken. Noch sind die USA zwar weit davon 
entfernt, die EU als Vorreiter abzulösen, aber sie ziehen immerhin am
gleichen Strang wie wir.
Union und FDP progagieren den "Klimaretter Atomstrom". Nun hat der
aber teure Nebenwirkungen, wie man in der Asse gesehen hat. Ist es 
gerecht, dass der Steuerzahler für die Entsorgung aufkommt, die 
Profite aber bei den Konzernen verbleiben?
Gabriel: Nein. Durch die Billig-Entsorgung in der Asse und in 
Morsleben ist die Gesundheit vieler Menschen aufs Spiel gesetzt 
worden. Ich halte es für undenkbar, zuzulassen, dass jetzt für die 
Sanierung der Steuerzahler aufkommen soll. Wir werden nach der 
Bundestagswahl ein Gesetz zur Besteuerung von Kernbrennstoffen 
auflegen, damit sich die Atomindustrie stärker beteiligt. Der Vorteil
ist, dass diese Steuer echte Gewinne abschöpft und nicht den 
Strompreis steigen lässt. Ich kann nicht nachvollziehen, wie sich CDU
und FDP in Niedersachsen zu Helfershelfern der Atomindustrie machen. 
Denn die sind nicht mal ansatzweise bereit, diese Herren in die 
Pflicht zu nehmen.
In welcher Koalitionskonstellation wollen Sie dann die 
Kernbrennstoffsteuer durchsetzen?
Gabriel: In jeder. In Koalitionsverhandlungen -- das haben die zur
großen Koalition gezeigt -- wird es sowohl Union als auch FDP schwer 
fallen, eine Regierungsbildung an dieser Frage scheitern zu lassen. 
Einerseits machen sie Steuersenkungsversprechen, von denen niemand 
weiß, wie sie zu bezahlen sind. Andererseits verweigern sie die 
Mitarbeit in einem Punkt, der die Steuerzahler direkt entlasten 
würde.
Niedersachsens Grünen-Fraktionschef Wenzel glaubt, dass der 
Landtags-Untersuchungsausschuss zu Asse das Aus für ein Endlager in 
Gorleben einläuten wird. Ist Wenzel zu optimistisch?
Gabriel: Jedenfalls ist der sogenannte Wissenschaftler, der die 
Asse für sicher erklärt hat, der gleiche, der erklärt hat, Gorleben 
sei sicher. Angeblich sollte die Asse Forschungsvorhaben 
voranbringen, die letztlich für Gorleben aussagekräftig sind. So 
gesehen könnte man Gorleben also gleich vergessen. Der 
Untersuchungsausschuss dürfte sich mit der Frage befassen, ob in der 
Asse überhaupt geforscht oder doch nur billig entsorgt wurde. Auch 
wenn das in dieser Region nicht gerne gehört wird: Prinzipiell muss 
man sagen, dass die Asse nicht per se ein Beispiel dafür ist, dass 
Salz ungeeignet als Lagerstätte ist. Die Asse ist ein altes Bergwerk 
-- ausgehöhlt wie ein Schweizer Käse -- in dem in unverantwortlicher 
Weise Billig"entsorgung stattfand. Wie wir heute wissen, nicht nur 
von 126.000 Fässern Atommüll, sondern auch von Tierkadavern. Gorleben
ist ein völlig anderer Salzstock. Trotzdem müssen sich diejenigen, 
die stets gesagt haben, in der Asse werde für Gorleben geforscht, an 
ihren Äußerungen messen lassen.
Wärmedämmung findet bisher vorwiegend bei Neubauten statt. Reichen
die KfW-Modernisierungsprogramme, um den Sanierungsstau bei Altbauten
abzubauen?
Gabriel: Da muss ich Sie korrigieren: Die Mehrzahl der Zuschüsse 
geht in die Altbausanierung und dort vor allem in die Sanierung von 
Ein- und Zweifamilienhäusern. Wir müssen aber stärker an die 
Sanierung von großen Mietshäusern ran. Da gibt es aber folgendes 
Problem: Wenn sie Eigentümer eines Einfamilienhauses sind und dieses 
sanieren, sparen sie auch die Heizkosten. Wenn sie Eigentümer eines 
Mehrfamilienhauses sind und sanieren, tragen sie die Kosten, ihre 
Mieter profitieren aber davon -- denn die zahlen ja die Nebenkosten. 
Das ist nicht attraktiv. Das Mietrecht sollte so geändert werden, 
dass die eingesparten Kosten fair geteilt werden zwischen Mieter und 
Vermieter. Dafür treten wir im Umweltministerium schon seit Beginn 
der Legislaturperiode ein, aber es ist sehr schwierig, Mieterbund und
Vermieter auf die gleiche Linie zu bringen.
2011 will Bosch ein Mini-Blockheizkraftwerk für Einfamilienhäuser 
auf den Markt bringen. Gibt es dann noch die derzeit hohen 
Investitionszuschüsse?
Gabriel: Wir haben gerade dafür ein Förderprogramm aufgelegt, das 
zeitlich nicht befristet ist. Dazu gibt es sogar ein Gesetz: das 
Erneuerbare-Wärme-Gesetz.
Ist die Abkehr von einer zentralen Stromversorgung mit ihren hohen
Leitungsverlusten nicht sinnvoll, wenn immer mehr Haushalte Strom 
produzieren?
Gabriel: Ich glaube, dass die Zukunft der Stromversorgung 
dezentral ist. Sie wird aber dennoch zentrale Regelkraftwerke 
brauchen. Früher hat die Energieversorgung im Süden und im Westen 
gestanden. Die Elektrizitätsnetze waren wie ein Baum, unten der dicke
Stamm, nach Norden hin wurden die Äste immer feiner. Heute beginnen 
wir an der Nordseeküste mit dem Aufbau der Offshore-Windenergie, 
müssen aber den Strom an die Lastschwerpunkte im Süden und Westen 
bringen. Das geht nur mit einem zentralen Stromnetz. Aber wir können 
die Leitungsverluste dadurch reduzieren, dass wir 
Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungstechnik nutzen zum Beispiel für
eine 500 Kilometer lange Leitung vom Windpark bis nach Freiburg. 
Nutzt man dann noch ein Erdkabel, wird der Konflikt um den 
Freileitungsausbau vermieden. Die Technik hat also auch im 
Netzbetrieb deutliche Fortschritte gemacht.
Welches Potenzial hat die Geothermie?
Gabriel: Diese Art der Energiegewinnung ist in Deutschland noch 
nicht ausreichend ausgeschöpft. Zwar sind die Bedingungen in anderen 
Ländern zum Teil wesentlich besser und effektiver als in Deutschland,
aber auch hier gibt es ein großes Potenzial. Deshalb sind die 
Förderbedingungen für Geothermie Anfang dieses Jahres deutlich 
verbessert worden. Dadurch sind im vergangenen Jahr rund 20 
Projektplanungen mit einem Investitionsvolumen von rund 200 Millionen
Euro neu initiiert worden
Zu welcher Art von Strom- und Wärmeerzeugung bzw. Versorgung 
würden Sie Hausbauern raten?
Gabriel: Das hängt natürlich auch vom Standort des Hauses ab. Sie 
können aber ein Null-Emissions-Haus bauen oder sogar Energieproduzent
werden. Die Frage, welche Kombination etwa aus Erneuerbarer 
Wärmetechnik, Photovoltaik und Wärmedämmung am besten passt, wird ein
guter Architekt heute für jeden Standort vorschlagen können. Je höher
die Effizienz, desto höher ist auch die staatliche Förderung. Die 
Investitionen in klimafreundliche Häuser rechnen sich schnell, weil 
man von Energiepreissprüngen deutlich unabhängiger ist. Im Übrigen 
müssen wir keine Angst mehr davor haben, dass die Russen uns kein Gas
mehr liefern, sondern davor, dass sie Kapitalismus dauerhaft 
verstanden haben. Wenn die Russen eine Pipeline nach China bauen, 
werden wir uns noch über die künftigen Gaspreise wundern.
Vor einiger Zeit gab es erneut eine CO2-Dienstwagendebatte, von 
der auch Sie betroffen waren. Dabei steuern Autos 12 Prozent an den 
CO2-Emissionen bei, Haushalte hingegen rund 40. Wäre da eine 
Energiepass-Debatte nicht angebrachter?
Gabriel: Zunächst muss ich noch etwas zum Dienstwagen sagen: Ich 
habe damals den Fehler gemacht, das Auto meines grünen Amtsvorgängers
zu übernehmen, weil ich dachte, der sei ein vernünftiges Auto 
gefahren. Das war aber leider nicht der Fall. Heute nutze ich ein 
Hybrid-Fahrzeug, das demnächst auf den Markt kommt. Mit diesem Auto 
liegen wir bei den CO2-Emissionen in dieser Fahrzeugklasse 
vergleichsweise gut. Für Gebäude haben wir einen Energiepass. Die 
Union hat allerdings verhindert, dass ein wirklich aussagekräftiger 
Energiepass für alle Pflicht wird. Stattdessen kann man wählen 
zwischen zwei Formen des Energiepasses, wobei der 
verbrauchsorientierte nicht besonders aussagekräftig ist. Wenn Sie 
zum Beispiel den Energieverbrauch meiner Wohnung nehmen, müsste man 
den Eindruck gewinnen, die Wohnung sei besonders gut gedämmt. Dabei 
bin ich nur selten zuhause. Bei der Wohnung meiner Mutter müsste man 
denken: Um Himmels willen, was ist das für eine Katastrophe. Das 
liegt aber daran, dass meine Mutter 86 Jahre alt ist und sich 
unterhalb von Saunatemperaturen in arktischer Kälte wähnt. Mit 
anderen Worten: Wir brauchen einen für alle Wohnungen verpflichtenden
Energiepass, der den tatsächlichen Bedarf anhand von Dämmung, Heizung
und Verbrauch in Relation zur Größe des Hauses berechnet.
Wer in der Autofahrernation Deutschland der Autoin"dus"trie hilft,
kann Wahlen gewinnen. Folgt die Regierung auch im Fall Opel dieser 
Logik?
Gabriel: Erstens: Ich habe als Umweltminister generell ein großes 
Interesse daran, dass es der deutschen Industrie gut geht. Wir werden
die Probleme der Industriegesellschaft nur mit den Instrumenten der 
Indus"triegesellschaft bewältigen können, also mit technischem 
Fortschritt, der die Rohstoffe effizienter nutzt und wo immer möglich
auf erneuerbare Rohstoffe umsteigt. Außerdem kann Deutschland anderen
Ländern nur helfen, wenn wir wirtschaftlich erfolgreich sind. Ich 
konnte die Klimaschutzausgaben im Bundeshaushalt von 875 Millionen 
Euro im Jahr 2005 nur deshalb auf 3,4 Milliarden Euro steigern, weil 
viele Menschen Arbeit hatten und Steuern gezahlt haben. Zweitens: Die
deutsche Autoindustrie ist in punkto Umweltfreundlichkeit wirklich 
spät gekommen. Drittens: Wer in Deutschland Milliardenbeträge zur 
Verfügung stellt, um die Finanz- und Wirtschaftskrise in den Griff zu
bekommen, die eine Mischung aus Ignoranten und Gangstern an den 
Finanzmärkten verursacht hat, kann nicht in der gleichen Situation 
sagen, wir lassen 30.000 Mitarbeiter eines angeschlagenen 
Automobilunternehmens im Stich. Das wird in Deutschland zu abstrakt 
diskutiert. Die Leute gewinnen den Eindruck, dass der Staat anonymen 
Systemen wie der Finanzbranche schnell hilft, sich aber schwer tut, 
wenn es konkret um Menschen geht. Diesen Eindruck dürfen wir nicht 
verstärken, indem wir solche Kollateralschäden mit einem 
Schulterzucken hinnehmen nach dem Motto: So ist es eben in der 
Globalisierung.
Auch das VW-Gesetz ist ein Politikum. Wird das Gesetz überflüssig,
wenn VW und Porsche einen integrierten Konzern bilden?
Gabriel: Nein. Diese Machtrangelei der Eignerfamilien hat ja damit
begonnen, dass Chris"tian Wulff Ferdinand Piëch abschießen wollte. Um
das zu verhindern, hatte Herr Piëch über die Porsche Familie 
begonnen, mehr Aktien zu kaufen, als Niedersachsen besitzt. Und nun 
wird in der Familie Porsche-Piëch "Dallas" gespielt. Die aktuelle 
Situation zeigt, wie wichtig es ist, dass das VW-Gesetz Bestand hat, 
um dieses Unternehmen vor Hedgefonds oder streitenden Familien zu 
schützen.
Wie geht Ihrer Einschätzung nach der Machtkampf zwischen Wolfsburg
und Stuttgart aus?
Gabriel: Der ist schon ausgegangen. Ich habe immer gewusst, dass 
es von Wulff ein Fehler war, Piëch anzugreifen. Der Mann ist 
unbestechlich. Er hat ein Ziel: VW soll der erfolgreichste 
Autokonzern der Welt werden. Und er will, dass das mit den 
Familiennamen Porsche und Piëch verbunden ist. Ich habe Piëch damals 
zum VW-Aufsichtsratschef gewählt, als Ford schon die Fühler nach VW 
ausgestreckt hatte. Denn Piëch hatte die nötige Härte, dies zu 
verhindern.
Erwarten Sie bis zur Bundestagswahl im September eine Verschärfung
des sich abzeichnenden Lagerwahlkampfes?
Gabriel: Die CDU wird das sicher versuchen. Ich glaube aber, dass 
es keine Lager gibt. Die Leute wählen nicht nach Lagern, sondern 
entscheiden nach der Frage, wer die Kompetenz hat, Deutschland aus 
der Krise herauszuführen und künftig krisenfester zu machen. Dazu 
wird es eine Richtungsentscheidung geben: Soll das Motto "Privat vor 
Staat" weiter gelten, das Frau Merkel und Herr Westerwelle vor der 
letzten Bundestagswahl propagiert haben und das nichts anderes 
bedeutet als Eigennutz vor Gemeinwohl. Oder hat der Staat auch die 
Aufgabe, dafür zu sorgen, dass der Markt einen Rahmen bekommt, damit 
das Gemeinwohl nicht untergepflügt wird? Ich glaube, dass CDU und FDP
einen gigantischen Wahlbetrug vorbereiten: Sie möchten gerne 
verschweigen, dass sie die ideologischen Wegbereiter für diese Krise 
sind. Dieses Manöver wird die SPD zu verhindern wissen. Es wird also 
einen Richtungswahlkampf geben und keinen Lagerwahlkampf.
Sie als Bundesumweltminister tragen Mitverantwortung dabei, das 
Land aus der Krise herauszuführen. Auch Bundeskanzlerin Merkel war 
Umweltministerin. Ist dieser Posten ein Sprungbrett, sich für höhere 
Aufgaben zu qualifizieren?
Gabriel: Das ist eine bösartige Frage. Ich will aber zunächst 
etwas zu Frau Merkel sagen: Sie macht eine gute Umweltpolitik. Es 
gibt zwischen uns keine Differenzen. Das Prob"lem ist nur, dass ihre 
eigene Partei das Gegenteil macht. Das beste Beispiel ist die 
Verhinderung des Umweltgesetzbuches von CSU und CDU. Insofern sage 
ich Frau Merkel immer: Das Beste, was wir tun können, um unsere 
Umweltpolitik durchzusetzen, ist: SPD wählen. Die 
Unions-Landesfürsten sind erklärte Gegner der Umwelt- und 
Klimapolitik der eigenen Bundeskanzlerin. Wir haben nur deshalb eine 
erfolgreiche Legislaturperiode hinter uns, weil wir Sozialdemokraten 
dafür gesorgt haben, dass sich Wulff, Rüttgers und Co. nicht 
durchgesetzt haben.
Sie sagen, dass es keinen Lagerwahlkampf geben wird. In 
Niedersachsens SPD gibt es aber eine Lagerbildung. Warum lehnen Sie 
eine Neuordnung der Parteistruktur rigoros ab?
Gabriel: In den wirklich wichtigen Fragen wie der Umwelt-, 
Bildungs- und Energiepolitik sind wir uns schon einig. Es gibt nur 
unterschiedliche Auffassungen, wie die Zukunft unserer Partei 
aussehen soll. Meine Auffassung ist: Der Zentralismus war noch nie 
ein Heilsbringer. Politisches Engagement hat etwas mit Heimatnähe zu 
tun. Zentrale Strukturen scheinen zwar effzient zu sein, führen aber 
dazu, dass ehrenamtliches Engagement immer weniger eine Rolle spielt 
und es immer mehr Berufspolitiker gibt. Die CDU hat in Niedersachsen 
mehr Bezirksverbände als die SPD -- und regiert.
SPD-Landeschef Garrelt Duin hat Sie indirekt als beleidigte 
Leberwurst bezeichnet, weil Sie sich auf Platz 24 der Landesliste zur
Bundestagswahl haben setzen lassen. Sind Sie noch beleidigt?
Gabriel: Ich glaube nicht, dass ich diesen Eindruck mache. Leider 
ist es manchmal so, dass politische Meinungsverschiedenheiten dadurch
verschleiert werden sollen, dass man persönlich wird. Ich halte davon
nichts. In der Sache gibt es eine unterschiedliche Einschätzung 
darüber, wie ein Bundestagswahlkampf geführt werden muss: Sollen die 
Kandidaten der vorderen Listenplätze, Zugpferde für den Wahlkampf 
sein oder sollen diese Plätze nur innerparteilich dazu dienen, das 
eigene Prestige und die eigenen Führungsansprüche zu stabilisieren? 
Für Letzteres war ich nicht. Als ausgerechnet diejenigen, die in 
Niedersachsen ansonsten für die Abschaffung der Bezirksverbände 
plädieren, dann am härtesten den Proporz der Bezirke auf der Liste 
verteidigt haben, habe ich mich entschlossen, diesen unwürdigen 
Streit bereits im Januar dieses Jahres zu beenden. Denn in diesem 
Streit wurde vom Braunschweiger SPD-Bezirksverband gefordert, eine 
nun wirklich exzellente SPD-Bundestagsabgeordnete auf einen deutlich 
schlechteren Listenplatz zu setzen, weil nun zufällig die beiden 
bekanntesten niedersächsischen Sozialdemokraten aus Braunschweig 
kommen. Ich fand das alles unterirdisch und habe deshalb auf einem 
vorderen Platz verzichtet. Und nun sind alle glücklich und machen 
wieder für die Sache Wahlkampf. Ich auch.

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Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
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