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Der Tagesspiegel: Marianne Birthler: Weiter zunehmendes Interesse an Stasiakten
Ostdeutsche waren kein Volk von Spitzeln und Verrätern
Behörde wird mindestens bis 2019 oder 2020 gebraucht

Berlin (ots)

Berlin - Die Deutschen zeigen nach Ansicht der
Bundesbeauftragten für die Stasiunterlagen, Marianne Birthler, ein 
wachsendes Interesse an der DDR-Vergangenheit. Nachdem von 2005 bis 
2006 die Zahl der Anträge auf persönliche Akteneinsicht bei der 
Behörde um 20 Prozent auf 97 000 gestiegen sei, rechne sie auch in 
diesem Jahr wieder mit einer leichten Steigerung, sagte Birthler dem 
Berliner "Tagesspiegel" (Freitagausgabe). Auch das Interesse an 
Ausstellungen, Dienstleistungen, Vorträgen und Publikationen der 
Behörde zu DDR-Themen nehme zu. Als eine der Ursache dafür sieht 
Birthler, dass im Osten "eine neue Lehrergeneration auftritt, oder 
auch die älteren Lehrer ihre Scheu verlieren, über selbst erlebte 
Geschichte zu sprechen. Ganz allmählich wächst daneben auch im Westen
ein Bewusstsein dafür, dass die Geschichte der DDR Teil 
gesamtdeutscher Geschichte ist." Trotz dieser Tendenz sei 
festzustellen, dass das Wissen über die DDR und die kritische 
Auseinandersetzung mit ihr insgesamt noch deutlich unterentwickelt 
sei.
Die aktuelle Debatte über die Zukunft der Stasiunterlagenbehörde 
und eine mögliche Übergabe der Akten an das Bundesarchiv sei "etwas 
unübersichtlich", sagte Birthler. "Mittlerweile steht die Frage, wie 
es mit der Behörde wird, schon seit drei Jahren ungeklärt im Raum. 
Das ist schwierig für uns, nicht zuletzt, weil wir eine 
Planungsgrundlage brauchen - für inhaltliche Planungen, für 
Verwaltungsfragen, für Strukturentscheidungen, für die 
Personalentwicklung." Sie rechne damit, dass die Behörde "mindestens 
bis zum Jahr 2019, 2020 gebraucht" werde - also bis 30 Jahre nach dem
Ende der DDR. "Möglicherweise sogar noch länger", fügte sie hinzu. 
Wenn man die Akten zu früh dem Bundesarchiv übergeben würde, müssten 
die Regeln des Stasiunterlagengesetzes auch dort für sie gelten. "Die
Zugangsmöglichkeiten würden damit also nicht erleichtert, sondern 
wahrscheinlich eher erschwert", sagte Birthler.
Die Stasiakten zeigen nach Ansicht der Behördenchefin, "dass die 
Ostdeutschen kein Volk von Spitzeln und Verrätern waren". Zwar hätten
die meisten Menschen angepasst gelebt und seien keine Helden gewesen.
"Und doch galt in der DDR das ungeschriebene Gesetz: Mit der Stasi 
arbeitet man nicht zusammen. Das haben die meisten respektiert. Die 
Stasiakten beschämen die Menschen aus der DDR also nicht, sie 
rehabilitieren sie eher und zeigen, dass es viele Menschen auch unter
unkomfortablen Umständen vermocht haben, einigermaßen anständig durch
die Zeiten zu kommen", sagte Birthler der Zeitung. Am Ende der DDR 
habe es 92 000 hauptamtliche und 174 000 inoffizielle Mitarbeiter der
Stasi gegeben. "Zusammengenommen haben also weniger als zwei Prozent 
der Gesamtbevölkerung für die Stasi gearbeitet", sagte sie.
Neben anderen Archivbeständen würden die Stasiakten "immer eine 
sehr, sehr wichtige Quelle bleiben", sagte Birthler. "Bestimmte 
Sachverhalte finden sich nur in ihnen." Aus den Akten des MfS könne 
man nicht nur lernen, wie die Stasi selbst funktioniert hat, sondern 
auch viel über das politische System der DDR und den Alltag. 
"Meinungsumfragen zum Beispiel gab es in der DDR natürlich nicht. Die
Akten taugen deshalb auch als eine Art Allensbach-Ersatz", sagte die 
Bundesbeauftragte. Weil die Wirklichkeit durch die ideologische 
Brille der Stasi-Offiziere wahrgenommen wurde, müsse man allerdings 
immer quellenkritisch mit den Unterlagen umgehen.
Bei Rückfragen:
"Der Tagesspiegel"
Politikredaktion
Tel.: 030/26009389

Pressekontakt:

Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de


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