Mobbing als Kindheitstrauma: Psychologe verrät, wie ich mein Kind auf den harten Teil des Schulalltags vorbereite
Schwerin (ots)
Beleidigungen, Ausgrenzung, Demütigungen – für viele Kinder ist das Schulalltag. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) erlebt jedes siebte Schulkind in Deutschland regelmäßig Mobbing oder Cybermobbing. Die Folgen sind gravierend: Angst, Rückzug, schlechte schulische Leistungen und oft langfristige seelische Narben. Eltern wissen, dass sie ihr Kind nicht vor allem schützen können. Doch sie fragen sich: Wie kann man Kinder stark machen, bevor sie verletzt werden?
Was Kinder in der Schule erleben, bleibt oft tief im Inneren gespeichert. Nachfolgend erfahren Sie, welche Strategien wirklich helfen, damit Kinder selbstbewusst durch den Schulalltag gehen.
Warum manche Kinder häufiger betroffen sind – und warum das keine Schuldfrage ist
Mobbing entsteht selten zufällig. Studien zeigen, dass bestimmte Faktoren das Risiko erhöhen können: Kinder, die sehr schüchtern auftreten, sozial isoliert sind oder wenig Selbstvertrauen haben, werden häufiger zur Zielscheibe. Auch „Anderssein“ – sei es durch Aussehen, Interessen oder Verhalten – kann Angriffsfläche bieten. Gleichzeitig spielen das Schulklima, die Dynamik innerhalb der Klasse und familiäre Belastungen eine Rolle. Entscheidend ist jedoch: Diese Merkmale erklären statistische Zusammenhänge, aber sie geben keinesfalls Anlass, einem Kind die Verantwortung zuzuschreiben.
Wesentlich ist, dass Eltern verstehen, wie komplex solche Prozesse verlaufen, damit sie ihr Kind rechtzeitig stärken können. Denn je sicherer ein Kind innerlich steht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es von abwertenden Kommentaren dauerhaft getroffen wird.
Ein Gefühl für den eigenen Wert vermitteln
Um Kinder widerstandsfähig zu machen, benötigen sie ein inneres Verständnis dafür, dass ihr Wert nicht von äußeren Stimmen abhängt. Ein anschauliches Bild verdeutlicht diesen Gedanken: Eine Wasserflasche kostet im Supermarkt wenig, am Flughafen deutlich mehr und wäre in der Wüste unbezahlbar. Trotzdem bleibt sie immer dieselbe Flasche.
Übertragen heißt das: Menschen werden je nach Umgebung unterschiedlich wahrgenommen, doch ihr Wert bleibt unverändert. Kinder, die das verinnerlichen, reagieren gelassener auf verletzende Bemerkungen; sie verstehen, dass Urteile anderer nicht automatisch eine Aussage über sie selbst sind.
Abwertende Worte richtig einordnen
Kinder müssen lernen, zwischen Fakt und Meinung zu unterscheiden. Junge Menschen nehmen Aussagen Gleichaltriger häufig als Wahrheit auf, obwohl es sich schlicht um subjektive Ansichten handelt. Wenn ein anderer sagt: „Dein Pullover ist hässlich“, dann ist das keine Tatsache. Es ist lediglich eine Meinung, und die kann sich von Person zu Person unterscheiden.
Dieses Bewusstsein schützt vor innerer Verunsicherung. Gleichzeitig hilft eine einfache, bildhafte Regel: Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt drei auf sich selbst zurück. Sie erinnert daran, dass verletzende Worte oft mehr über die Person aussagen, die sie ausspricht, als über das Kind, das sie treffen sollen. Dadurch gelingt es leichter, Abstand zu gewinnen und Angriffe emotional einzuordnen.
Emotionale Sicherheit im Elternhaus als Schutzschild
Kinder, die zu Hause Geborgenheit, Verständnis und offene Kommunikation erleben, gehen deutlich stabiler durch den Schulalltag. Ein verlässliches Familienklima wirkt wie ein Puffer: Sorgen können ausgesprochen werden, Konflikte wirken nicht bedrohlich, und aus kleinen Belastungen entwickeln sich seltener tiefe Verletzungen.
Eltern sollten deshalb regelmäßig nachfragen, aufmerksam zuhören und Veränderungen ernst nehmen – auch dann, wenn Äußerungen zunächst harmlos erscheinen. Ein Kind, das spürt, dass seine Gefühle willkommen sind, entwickelt eine starke innere Basis, auf die es in schwierigen Situationen zurückgreifen kann.
Selbstwertgefühl und soziale Kompetenzen fördern
Wer sich seiner Stärken bewusst ist, tritt sicherer auf und wirkt weniger angreifbar. Realistisches Lob, positive Erlebnisse in Hobbys oder im Sport und ein achtsamer Umgang mit eigenen Erfolgen stärken das Selbstbild nachhaltig. Gleichzeitig brauchen Kinder soziale Werkzeuge: Sie sollen wissen, wie sie Grenzen setzen, Konflikte ansprechen oder Hilfe suchen können.
Praktische Übungen zu Hause, kurze klare Sätze wie „Stopp, das möchte ich nicht!“ oder das gemeinsame Nachdenken über Lösungswege können ihnen helfen, sich im Alltag souveräner zu bewegen. Auch das Pflegen von Freundschaften spielt eine große Rolle: Schon eine enge Bezugsperson reicht manchmal aus, um ein Kind vor Isolation und damit vor Mobbing zu schützen.
Wie Kinder lernen, sich nicht klein machen zu lassen
Innere Stärke entsteht nicht durch Belehrung, sondern durch erlebte Selbstwirksamkeit. Kinder müssen erfahren, dass sie Herausforderungen bewältigen können, dass ihre Stimme Bedeutung hat und dass schwierige Situationen nicht zwangsläufig Bedrohung bedeuten. Wenn Eltern sie dabei begleiten, ohne ihnen alles abzunehmen, wächst ihre Widerstandskraft Schritt für Schritt.
So entsteht eine Haltung, die Kinder durch die Schuljahre trägt: Sie verstehen ihren eigenen Wert, erkennen die Grenzen von Meinungen anderer, fühlen sich zu Hause sicher und treten selbstbewusst auf. Und genau diese Mischung ist es, die sie im Schulalltag schützen kann – nicht, weil die Welt sanfter wäre, sondern weil sie gelernt haben, darin ihren Platz zu behaupten.
Über Ramón Schlemmbach:
Ramón Schlemmbach ist klinischer Psychologe (M.Sc.), systemischer Paartherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie. Mit seinem Coaching-Programm "Geprägt! Aber richtig" unterstützt er Erwachsene dabei, emotionale Altlasten aus der Kindheit zu erkennen und nachhaltig zu verändern. Durch seine strukturierte Online-Arbeit hat er bereits über 1.200 Klient*innen geholfen, ein erfüllteres Leben zu führen. Mehr Informationen unter: https://ramon-schlemmbach.de/
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