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Nationale Dunkelfeldstudie: Fast 13 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen – Digitale Kanäle spielen eine relevante Rolle

Nationale Dunkelfeldstudie: Fast 13 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen – Digitale Kanäle spielen eine relevante Rolle
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Nationale Dunkelfeldstudie: Fast 13 Prozent der Befragten von sexualisierter Gewalt betroffen – Digitale Kanäle spielen eine relevante Rolle

Die erste bundesweite, repräsentative Studie, die nicht nur die Häufigkeit sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche untersucht, sondern auch die Kontexte der Taten sowie deren Folgen beleuchtet, zeigt, dass das Ausmaß von Missbrauch in Deutschland erheblich ist. 12,7 Prozent der Befragten gaben an, mindestens einmal im Leben von sexualisierter Gewalt betroffen gewesen zu sein. Bezogen auf die Grundgesamtheit der 18 bis 59-Jährigen in Deutschland entspricht das 5,7 Millionen Menschen, die in ihrem Leben sexualisierte Gewalt erlebt haben. Daher muss nach wie vor von einem großen Dunkelfeld ausgegangen werden, obwohl das Bewusstsein um die Problematik in den vergangenen Jahren in Deutschland gewachsen ist. Betroffen sind vor allem Frauen, als Täter werden hingegen mehrheitlich Männer angegeben.

Das sind die zentralen Ergebnisse einer repräsentativen Studie, die vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit initiiert und im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit zusammen mit der Kinder-und Jugendpsychiatrischen Klinik in Ulm und dem Kriminologischen Institut in Heidelberg in Kooperation mit dem Umfrageinstitut infratest dimap durchgeführt wurde. Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert.

Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist auch in Deutschland ein weit verbreitetes Phänomen. Der Kinderschutz und der Umgang mit den Folgen früher Kindheitsbelastungen stellt die medizinische Versorgung vor große Herausforderungen. Seit vielen Jahren wird kritisiert, dass es keine wissenschaftlich verlässlichen Daten zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in Deutschland gibt. Nach wie vor ist neben dem tatsächlichen Ausmaß auch zu wenig über die genauen Tatkontexte bekannt, um gezielt und effektiv vorbeugen zu können.

Fast 13 Prozent haben sexualisierte Gewalt erlebt

Um Abhilfe zu schaffen, hat das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) zusammen mit der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Ulm und dem Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg die erste deutschlandweite, repräsentative Studie durchgeführt, die neben dem Ausmaß auch die Umstände und Folgen der Taten berücksichtigt. Demnach gaben 12,7 Prozent der Befragten an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben.

Betroffen sind zumeist Frauen

Die Studie ergab, dass Frauen deutlich häufiger als Männer betroffen sind: 20,6 Prozent aller befragten Frauen gaben an, sexualisierte Gewalt im Kindes- und Jugendalter erlebt zu haben (im Vergleich zu 4,8 Prozent der Männer). In der jüngeren Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen war dieser Anteil mit 27,4 Prozent sogar noch höher.

„Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat, obwohl das Bewusstsein um die Problematik gewachsen ist und Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausgeweitet wurden“, sagt Prof. Dr. Harald Dreßing, Koordinator der Studie und Leiter der Forensischen Psychiatrie am ZI. Auf die Frage nach dem Täter oder der Täterin gab ein Großteil der Betroffenen einen männlichen Täter an. Nur 4,5 Prozent der befragten Personen haben sexualisierte Gewalt durch eine Frau erfahren.

Sexualisierte Gewalt am häufigsten in der Familie

Auch der Kontext der Taten wurde in der Studie erfragt. Demnach berichteten Betroffene am häufigsten, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Auffällig war, dass Männer deutlich häufiger sexualisierte Gewalt in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe erlebten. Das Forschungsteam macht deutlich, dass diese Unterschiede die Notwendigkeit zeigen, differenzierte Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. DZPG-Sprecherin Prof. Silvia Schneider sagt: „Frühkindliche Traumatisierungen, wie sexualisierte Gewalt, erhöhen das Risiko für psychische Erkrankungen deutlich – von Posttraumatischen Belastungsstörungen über Depressionen bis hin zu Angst- und Persönlichkeitsstörungen. Die aktuelle Studie zeigt: Das seelische Befinden von Betroffenen ist signifikant schlechter als das von Menschen ohne solche Gewalterfahrungen. Um die Häufigkeit sexualisierter Gewalt in Deutschland nachhaltig zu senken, müssen wir daher dringend in evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt in Familien und Institutionen investieren.“

Digitale Kanäle spielen eine wichtige Rolle

Bei fast einem Drittel der Fälle (31, 7 Prozent) spielten digitale Kanäle, also beispielsweise Social Media, Messenger-Dienste und Chats, eine wichtige Rolle. In diesen Fällen ging es unter anderem um die ungewollte Zusendung pornographischen Materials, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder Zwang und Druck, sexuelle Bilder und Videos zu teilen. 61,9 Prozent der Betroffenen, die sexualisierte Gewalt in der realen Welt erfahren haben, haben auch sexualisierte Gewalt in den sozialen Medien erlebt.

Angst führt zu Schweigen

Über ein Drittel (37,4 Prozent) der Betroffenen hatte bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Als Grund hierfür berichteten Betroffene häufig Schamgefühle und die Angst, dass einem nicht geglaubt werde. „Das zeigt, dass es immer noch ein erhebliches Dunkelfeld gibt und es vielfach an geschützten Räumen fehlt, in denen Menschen das Erlebte offen ansprechen können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen“, sagt Dreßing.

Prävention und Versorgung verbessern

Die Studie zeigt auch deutlich, dass das psychische Befinden der von sexualisierter Gewalt Betroffenen deutlich schlechter ist als das der Nichtbetroffenen. „Es ist wichtig, dass wir die Forschung zum Ausmaß und den Kontexten von sexualisierter Gewalt verstetigen und weiter voranbringen. Nur so können wir Präventionskonzepte und die gezielte medizinische Versorgung von Betroffenen wirklich verbessern“, sagt Prof. Dr. Andreas Meyer-Lindenberg, Direktor des ZI und Sprecher des DZPG-Standorts Mannheim-Heidelberg-Ulm. Auch DZPG-Sprecher Prof. Dr. Peter Falkai betont die Wichtigkeit der Forschung: „In Zusammenarbeit mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit und weiteren Partnern hat das DZPG mit dieser Studie echte Pionierarbeit geleistet. Erstmals wird anhand einer repräsentativen Stichprobe das tatsächliche Ausmaß sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter in Deutschland sichtbar. Trotz gestiegener gesellschaftlicher Aufmerksamkeit besteht hier ein dringender Handlungsbedarf. Sexualisierte Gewalt ist dabei die Spitze des Eisbergs traumatisierender Erfahrungen in Kindheit und Jugend, die weitere Formen physischer und verbaler Gewalt sowie Vernachlässigung umfassen. Das DZPG geht dem Zusammenhang zwischen diesen Erfahrungen und psychischen Erkrankungen auf den verschiedenen Ebenen der Prävention, Frühintervention, spezifischen Behandlung und verbesserten Versorgung intensiv nach und spricht auch die politischen Akteure in ihrer Verantwortung an.“

Zusammen mit dem Umfrageinstitut infratest dimap wurden deutschlandweit 10.000 Personen zwischen 18 und 59 Jahren schriftlich kontaktiert. Knapp über 3.000 Personen haben an der Befragung teilgenommen. Diese Rücklaufquote ist hoch und erlaubt belastbare Aussagen.

Über die Studie und die Methodik

Die Studie wurde mit Eigenmitteln der wissenschaftlichen Institute sowie mit finanzieller Unterstützung der WEISSER RING Stiftung, des Vereins Eckiger Tisch sowie des Kinderschutzbunds finanziert.

In Zusammenarbeit mit dem Umfrageinstitut infratest dimap wurde eine für Deutschland repräsentative Bevölkerungsstichprobe von Personen, die zwischen 18 und 59 Jahren alt waren, mit Hilfe von Adressen der Einwohnermeldeämter erstellt. Den befragten Personen stand die Möglichkeit der Teilnahme auf schriftlich-postalischem Weg oder über eine Online-Befragung offen (Mixed-Mode-Design). Der Befragung lagen ein strukturierter Fragebogen sowie weitere etablierte und international verwendete Instrumente zugrunde. Darin wurde unter anderem nach spezifischen Tatbereichen, Tatzusammenhängen, der Tatanbahnung und der Offenlegung der erlebten Gewalt gefragt, den Folgen der Tat sowie der Bedeutung der sozialen Medien für die Missbrauchshandlungen.

Die wissenschaftliche Veröffentlichung

Harald Dreßing, Andreas Hoell, Leonie Scharmann, Anja M. Simon, Ann-Christin Haag, Dieter Dölling, Andreas Meyer-Lindenberg, Joerg Fegert: Sexual Violence Against Children and Adolescents: A German Nationwide Representative Survey on Its Prevalence, Situational Context, and Consequences. Dtsch Arztebl Int. 2025 May 30:(Forthcoming):arztebl.m2025.0076. doi: 10.3238/arztebl.m2025.0076. Online ahead of print.

Link: https://www.aerzteblatt.de/10.3238/arztebl.m2025.0076

Über das ZI

Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) steht für international herausragende Forschung und wegweisende Behandlungskonzepte in Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Suchtmedizin. Die Kliniken des ZI gewährleisten die psychiatrische Versorgung der Mannheimer Bevölkerung. Psychisch kranke Menschen aller Altersstufen können am ZI auf fortschrittlichste, auf internationalem Wissensstand basierende Behandlungen vertrauen. Über psychische Erkrankungen aufzuklären, Verständnis für Betroffene zu schaffen und die Prävention zu stärken ist ein weiterer wichtiger Teil unserer Arbeit. In der psychiatrischen Forschung zählt das ZI zu den führenden Einrichtungen Europas und ist ein Standort des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (dzpg.org). Das ZI ist institutionell mit der Universität Heidelberg über gemeinsam berufene Professorinnen und Professoren der Medizinischen Fakultät Mannheim verbunden und Mitglied der Health + Life Science Alliance Heidelberg Mannheim (health-life-sciences.de).

Über das DZPG

Seit Mai 2023 arbeiten im Deutschen Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG) Expertinnen und Experten daran, durch gemeinsame Forschung die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern und psychische Erkrankungen zu entstigmatisieren. An sechs Standorten in Deutschland wirken hierfür Forscherinnen und Kliniker gemeinsam mit Expertinnen aus Erfahrung, also Betroffenen und ihnen Nahestehenden, sowie internationalen Wissenschaftlern zusammen. Unter www.dzpg.org finden Interessierte Informationen zur Organisation, zu Forschungsprojekten und Zielen sowie informative Texte und hilfreiche Links rund um das Thema psychische Gesundheit.

Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, die Universität Heidelberg und die Universität Ulm bilden in diesem Kontext den gemeinsamen DZPG-Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm, auf dessen Initiative die Dunkelfeldstudie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche als exemplarisches, anwendungsbezogenes Projekt gefördert wird.

Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG)
Pressekontakt: 
MASTERMEDIA GmbH
Dr. Cordula Baums 
Tel.: 0151 70125839  
presse@dzpg.org
www.dzpg.org
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