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DIE ZEIT

Helmpflicht für flache Hinterköpfe: Ein Plastikhelm soll helfen, Kinderköpfe rund zu formen

Hamburg (ots)

In westlichen Augen gilt ein runder Kopf als Indiz
für musische Begabung und ein Flachschädel offenbar als Handicap. Wie
die Wochenzeitung DIE ZEIT in ihrer aktuellen Ausgabe berichtet,
modellieren US-Amerikaner mit Helmen ihren Kindern eine vorteilhafte
Kopfform.
Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann",
befand vor hundert Jahren der Pariser Impressionist Francis Picabia.
Klingt plausibel. Was aber, wenn der flexible Denkapparat zum
Klotzkopf deformiert ist? Folgen Hirnblockade, Starrköpfigkeit,
Reich-Ranicki-Attitüde gar?
Um Antworten auf diese Fragen mogelte sich Louis Argenta von der
Wake Forest University in North Carolina herum, nicht aber um das
ästhetische Problem eines Quadratschädels. Derzeit, gibt der
plastische Chirurg zu bedenken, drohe Tausenden Kindern ein bleibend
flacher Hinterkopf. Schuld daran seien die kinderärztlichen Kollegen.
Die propagieren seit Mitte der neunziger Jahre die Schlafposition auf
dem Rücken. Wenn die Kinder nicht mehr ihre Münder und Nasen ins
Kissen vergraben können, sterben sie seltener am plötzlichen
Kindstod. Um bis zu 40 Prozent sank in den USA die Zahl plötzlicher
Kindstode. Und Ekkehard Paditz von der Universität Dresden belegte
mit einer Studie, dass die Empfehlung auch in Sachsen gefruchtet hat.
Der Preis für das Überleben in Rückenlage: die occipitale
Plagiocephalie. Das sperrige Wort kennzeichnet einen hinten flachen
Schädel, der dem Betroffenen zwar keine intellektuellen Einbußen
beschert, wohl aber eine kosmetische Herausfordung. Vor dem
kinderärztlichen Appell erlitt nur eines von 300 Kindern die
Deformation, heute beklagen die US-Amerikaner fünfmal häufiger die
unschöne Kopfform.
   In westlichen Augen gilt ein runder Kopf als Indiz für musische
Begabung und ein Flachschädel offenbar als Handicap - bei den alten
Ägyptern und Mayas galt der Langschädel als schick. Was die alten
Kulturen durch feste Wickel in die Länge zogen, formt die US-Firma
Cranial Technologies für 3000 Dollar mit Plastik rund. Die Firma
fertigt Kinderhelme nach Maß, die für einige Monate 23 Stunden am Tag
getragen werden müssen. Im Alter von drei bis vier Monaten montiert,
gedeihen unter den halboffenen Schalen wahre Wunderkugeln. Ist der
größte Schädelwachstumsschub im Alter von einem Jahr vorüber, hilft
das Modellieren kaum noch etwas.
Hierzulande verschalt Christoph Blecher von der Universität Gießen
allzu krumme Schädel. Dabei ist er zurückhaltender als amerikanische
Körperkult-Eltern. Die kauften allein im letzten Jahr über 2000
Formhelme. Zwar sei der "psychosoziale" Aspekt wichtig - "wer will
sich als Kind schon hänseln lassen, weil ein Ohr absteht und das
Gesicht schief ist" -, aber nicht ausschlaggebend. Für bedeutsamer
und therapiebedürftig hält Kieferchirurg Blecher lediglich frühzeitig
verknöcherte Schädelfugen und asymmetrische Deformationen. Denn bei
einseitiger Abflachung drohen später Komplikationen bis hin zum
Schiefhals und fehlgestelltem Kiefergelenk. Als Erstmaßnahme
empfiehlt der Experte aber nicht den Helm: "In den meisten Fällen
genügt eine krankengymnastische Behandlung." Erst wenn der Schädel
trotzdem schief bliebe, sei die Halbschale indiziert. In den letzten
Jahren versorgte Blecher 120 junge Patienten. Die gewöhnen sich nach
ein bis zwei Tagen an den Kopfschmuck und hauen sich, "weil das so
schön knallt" (Blecher), gerne das Spielzeug an die Stirn - eine
riskante Gewohnheit, wenn der Helm nach einiger Zeit wieder
abgenommen worden ist.
Die einfachen Lösungen für das Problem sind nicht überall bekannt.
Vielerorts, klagt Blecher, würde fälschlicherweise ein frühzeitiger
Schluss der Schädelfugen angenommen und operiert. Da hört für den
Helm-Mann der Spaß auf: "Bei den möglichen OP-Risiken ist das ein
Verbrechen."
Diese Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 33/2000 mit Erstverkaufstag am
Donnerstag, 10. August 2000 ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur
Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Textes kann angefordert
werden.
Für Rückfragen steht Ihnen das Team der ZEIT-Presse- und Public
Relations Elke Bunse (Tel. 040/ 3280-217, Fax -558, e-mail: 
bunse@zeit.de) und Victoria Johst (Tel. 040/3280-303, Fax-570,
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