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Landeszeitung Lüneburg: ,,Von Entwarnung darf keine Rede sein" -- Interview mit dem Klimaforscher Hartmut Graßl

Lüneburg (ots)

Während Deutschland mit Hochdruck an der Energiewende arbeitet, um die Kohlendioxid-Emissionen zu senken und nach dem Atom-Ausstieg unabhängiger von fossilen Brennstoffen zur Energieerzeugung zu werden, steht in den USA eine ,,Schiefergas-Revolution" an. Mit Hilfe der Fracking-Methode sollen gigantische Mengen Gas und Öl gewonnen werden. Die USA könnten sogar zum großen Exporteur werden. Nach Bemühungen, den CO2-Ausstoß zu senken, klingt das nicht. ,, Das ist typisch Weltmacht", sagt Prof. Dr. Hartmut Graßl im Gespräch mit unserer Zeitung. Der renommierte Klimaforscher widerspricht zudem energisch der jüngste Einschätzung einiger seiner Kollegen, dass die Erderwärmung gestoppt sei. Als größte Baustelle der Energiewende in Deutschland sieht er die fehlenden Speichermöglichkeiten. Der Speicherung über Gas oder Wasserkraft gehöre die Zukunft, ist Prof. Graßl überzeugt.

NASA-Forschungen haben ergeben, dass das vergangene Jahrzehnt zwar zu den wärmsten seit Beginn der letzten kleinen Eiszeit vor vier Jahrhunderten gehört, aber der Temperaturanstieg insgesamt seit 15 Jahren auf hohem Niveau stagniert -- trotz des rapiden Anstieges des Kohlendioxid-Ausstoßes. Klingt das nach Entwarnung oder wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Prof. Dr. Hartmut Graßl: Von Entwarnung kann und darf keine Rede sein -- und lässt sich aus den Untersuchungen der NASA-Kollegen auch nicht ableiten. Vergleicht man die 90er-Jahre mit dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, gibt es einen weiteren mittleren Temperaturanstieg. Meteorologen messen seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Temperaturen zwei Meter über Grund annähernd global. Aus dieser Sys"tematik lässt sich der Klimawandel eindeutig belegen. So war das Jahrzehnt von 2001 bis 2010 deutlich wärmer als das Jahrzehnt von 1991 bis 2000.

Klimaforscher Mojib Latif gerade hat bereits im April 2012 vorhergesagt, dass sich der Erwärmungsstopp bis 2020 fortsetzen wird.

Graßl: Ich habe nichts dagegen, wenn man fragt: Wo ist denn der steile Temperaturanstieg innerhalb des letzten Jahrzehnts geblieben? Denn dieser steile Anstieg ist in der Tat nicht da. Aber in einer Zeit mit generell ansteigenden Temperaturen wird es immer Jahrzehnte geben, wo es keine starken Temperaturerhöhungen gibt. So ist die Natur organisiert, so sind Klimaänderungen immer abgelaufen. Ich kann also nur sagen: Ruhe an dieser Front. Es ist so warm wie noch nie. 2010 war das bisher wärmste Jahr, dann folgen 2005 und 1998. Behauptungen, der Klimawandel wäre gestoppt, sind reine Scharlatanerie.

Einige Experten sagen, dass die Ozeane viel Wärme schlucken. Erklärt das die Schwankungen?

Graßl: Ja, denn ein relativ großer Teil der Erwärmung geht in die Ozeane. Dazu muss man sich nur verdeutlichen: Eine drei Meter hohe Ozean-Wasserschicht hat genau so viel Wärmeinhalt wie die gesamte Atmosphäre darüber. Sind die bisherigen Vorhersagesysteme zu ungenau, wenn natürliche Klimaeinflüsse den Temperatur-Anstieg bremsen, wie Jochem Marotzke vom Max-Plack-Institut vermutet? Graßl: Wir wissen noch nicht, über welche Mechanismen wann und wie viel Wärme in den inneren Ozean abgezogen wird. Der Ozean ist schlechter verstanden als die Atmosphäre, da wir erst seit einigen Jahren ein annähernd globales Beobachtungssystem für die oberen Wasserschichten des Ozeans haben: Rund 3000 Floats oder Drifter, die fest programmiert sind und Temperaturen in unterschiedlichen Wassertiefen messen, leiten die Daten beim Auftauchen an Satelliten weiter. Dieses System lässt uns erstmals ergründen, wie viel Wärme im oberen Ozean gestapelt ist. Die Auswertung der Daten läuft gerade. Herr Marotzke hat dieses Messsystem übrigens mit angestoßen. Generell sind die natürlichen Wechselwirkungen zwischen Atmosphäre, Ozeanen und Landgebieten groß, daher gibt es natürliche Temperaturschwankungen. Deswegen war es so schwer, den Einfluss des Menschen auf das Klima he"rauszufiltern. Erst in den 90er-Jahren ist es uns gelungen, unzweifelhaft zu belegen, dass der Temperaturanstieg der vergangenen Jahrzehnte vom Menschen beeinflusst wurde. Außer ein paar Scharlatanen, die es ja immer gibt, bestreitet heute kein Wissenschaftler mehr, dass der Klimawandel anthropogen ist.

Wie bewerten Sie im Hinblick auf den Klimawandel die anstehende ,,Schiefergas-Revolution" in den USA, wo mit Hilfe des Frackings die restlichen Gas- und Ölvorkommen in den USA ausgebeutet werden sollen?

Graßl: Das ist typisch Weltmacht. Eine Weltmacht hält sich nicht an internationale Verträge, deswegen sind die Amerikaner auch aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen. Die ,,Schiefergas-Revolution" wird den Preis für Gas und Öl senken und damit Klimaschutzpolitik weiter erschweren. Europa kann etwas dagegen setzen und macht es zum Teil ja auch -- etwa über den Emissionshandel, der zwar etwas dahindümpelt und zu wenig stringent ist. Aber wenigstens werden in Europa Versuche gestartet, den Klimawandel zu stoppen. Der größte Feldversuch überhaupt auf diesem Sektor ist die Energiewende in Deutschland.

Durch ,,Fracking" könnten Gaslagerstätten in Deutschland ausgebeutet werden und das Land rund 13 Jahre unabhängig von Gas-Importen machen. Wird Deutschland verstärkt ,,Fracking" nutzen, wenn die Energiepreise weiter steigen?

Graßl: Nein, weil wir es nicht benötigen. Über die starken Zuwächse bei erneuerbaren Energien und die Preisabsenkungen im Bereich der erneuerbaren Energie müssen wir diesen Aufwand sehr wahrscheinlich gar nicht treiben. In dem Moment, in dem die Kilowattstunde Energie aus Wind und Sonne billiger ist als die aus Öl oder Gas, wird keiner mehr nach Fracking schreien. Allerdings ist fraglich, ob die Umweltbelastungen des Frackings künftig auf den Öl- und Gaspreis aufgeschlagen werden. Ich wage zu bezweifeln, dass dies rasch gelingt. Daher dürften Öl und Gas noch eine Zeitlang quasi illegal billig bleiben.

Setzen Sie große Klimaschutz-Hoffnungen auf China?

Graßl: China investiert mehr Geld in Erneuerbare Energien als alle anderen Länder weltweit, weil es weiß, dass es die Kohle gar nicht so schnell aus dem Boden holen kann, wie die Wirtschaft und damit der Energiehunger wächst.

Ist ein diktatorisches System im Vorteil gegenüber westlichen Demokratien?

Graßl: Nein, dazu reicht schon der Vergleich des Anteils Erneuerbarer Energie an der Gesamtstromproduktion zwischen Deutschland und China. Im Übrigen wissen wir nicht, ob Chinas Diktatur nicht schon in zwei Jahren zusammenbricht. Es ist eine alte Erfahrung, das Diktaturen im Endstadium ihrer Existenz immer verbrecherischer werden. Das System in China ist sehr korrupt, die Bürger gehen schon auf die Barrikaden. Im vergangenen Jahr gab es Tausende Demonstrationen. Vieles davon wird bei uns nicht berichtet, weil es nicht so spektakulär erscheint, wenn 500 Bauern im Westen Chinas beinahe einen Parteisekretär lynchen. In dem Moment, wo dieses System in China kollabiert, wird die Wirtschaftsleis"tung sinken, werden die Emissionen sinken, wird die Armut zunehmen. Dann wird es ein weiter, schwerer Weg bis zu einer Demokratie.

Ist das Desertec-Projekt aus Ihrer Sicht dazu geeignet, den fortschreitenden Klimawandel zu stoppen oder Geldverschwendung?

Graßl: Das ist ein sehr guter Ansatz für die Regionen, die für ihre Entwicklung rasch Strom brauchen. Dazu zählen die Staaten in Nordafrika oder auch in Asien und Südamerika. Erneuerbare Energie durch den Großeinsatz von Sonnenenergietechniken günstiger zu machen, ist der einzige Weg für diese Länder, eine nachhaltige Entwicklung zustande zu bringen. In Europa wird das Desertec-Projekt leider immer nur im Hinblick auf günstigen Strom aus der Sahara für uns diskutiert. Der wichtigere Punkt aber ist der Strom für die dortige Region. Desertec wird kommen, denn Solarstrom gehört die Zukunft vor allem in solchen Ländern, die keine Ölreserven haben.

Die Parteien in Deutschland ringen um den richtigen Weg zur Energiewende. Wo sehen Sie die größten Baustellen bisher?

Graßl: Die größte Baustelle ist ganz eindeutig die Strom-Speicherung.

Welchen Speicher-Möglichkeiten gehört denn die Zukunft?

Graßl: Der Speicherung über Wasserkraft und Gas. Alles, was wir bräuchten, ist zum Beispiel bei Stürmen in Norddeutschland die überschüssige Windenergie zur Gasproduktion zu nutzen und dieses Gas dann zu speichern. Bei Bedarf wird das Gas dann zur Produktion von Strom genutzt. Generell ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland schon weit vorangekommen. Wir haben oft schon einen Überfluss an Strom. Wer hätte gedacht, dass wir trotz Abschaltung von acht Atomkraftwerken immer noch Strom exportieren? Wir müssen aber für die Tage vorsorgen, an denen keine Sonne scheint und kein Wind bläst.

Das Interview führte Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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