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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zum Abschluss der Sondierungsgespräche, Autor: Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Mit dieser Äußerung hatte der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt einst die in linke Visionen verliebten Genossen auf die Palme gebracht. Zugleich jedoch hatte der pragmatische Hamburger das Land durch allerhand Krisen gesteuert und - alles in allem - vorangebracht. Schmidts zupackender Pragmatismus stünde der nächsten Bundesregierung gut zu Gesicht. Union und SPD von heute haben eine Woche lang knallhart und schonungslos die Knackpunkte und den Fahrplan einer erneuten Groß-Koalition sondiert. Dabei kamen keine großen Visionen und kühnen Zukunftsprojekte heraus, doch zumindest wurde das Fundament für eine stabile Regierung gelegt. Das ist in Zeiten, in denen die Welt aus den Fugen zu geraten scheint, in denen Nationalisten, Populisten und Polit-Egomanen die Entwicklung zurückdrehen wollen, schon eine ganze Menge. Die sich abzeichnende GroKo tut sich schwer damit, ein verbindendes Motto für die nächste Regierungszeit zu finden. Wie wär's mit: notgedrungen in die Zukunft? Nachdem die von vielen Hoffnungen begleitete Reise nach Jamaika kläglich Schiffbruch erlitten hatte, schickt sich nun das seit vier Jahren regierende Trio von CDU, CSU und SPD an, das Land weiter zu führen. Besonders sexy sind die in die Jahre gekommenen Koalitionäre Merkel, Seehofer, Schulz und Co. beileibe nicht, doch sie sind grundsolide Polit-Profis. Keine politischen Leichtmatrosen, die gleich beim ersten Sturm von Bord gehen, wie die Lindner-Crew der FDP, die Parteiräson über Staatsräson stellte. Schaut man sich die ins 28-seitige Sondierungspapier hinein verhandelten Punkte genauer an, wird das Prinzip Pralinenschachtel erkennbar: Es ist für jeden etwas dabei. Die CSU bekommt eine Begrenzung des Zuzugs von Flüchtlingen, also eine de facto Obergrenze, und vorerst die Aussetzung des Familiennachzugs für Kriegsflüchtlinge sowie die erweiterte Mütterrente. Merkels Christdemokraten wiederum können sich ans Revers heften, Steuererhöhungen und sozialdemokratische Bürgerversicherung verhindert zu haben. Die Sozialdemokraten, die den weitesten und schwierigsten Weg zurück in eine GroKo vor sich haben, konnten dagegen in der Europa- und der Sozialpolitik punkten. Martin Schulz, der für viele bereits ein Parteichef auf Abruf ist - das verbindet ihn übrigens mit Merkel und Seehofer - hat einige Pflöcke für die Erneuerung der EU einschlagen können, die vor nicht all zu langer Zeit für die Union noch Teufelszeug waren. Man denke nur an mehr Geld für Brüssel und ein EU-Investitionsprogramm. Zugleich hat Fraktionschefin Andrea Nahles, inzwischen die starke Frau der SPD - hinter oder vielleicht sogar vor Schulz - viele kleine Verbesserungen in der Arbeitsmarkt- und Rentenpolitik, in der Pflege oder der Krankenversicherung festgezurrt. Dabei klingt jede Maßnahme für sich betrachtet nicht gerade spektakulär. Doch für die betroffenen Menschen könnten sich die Vorhaben als segensreich erweisen. Auch wenn viele sich bestimmt noch viel mehr gewünscht hätten. Die - voraussichtlich - nächste Große Koalition auf Bundesebene ist dabei keine politische Liebesheirat, wie alle vorherigen übrigens auch nicht. Sie ist vielmehr die Vernunftehe von Partnern, die schon einiges durchgemacht haben, von den eigentlichen Wunschpartnern sitzengelassen und zudem noch die schlechtere Alternative von Neuwahlen drohend vor Augen haben. Dass Union und SPD jetzt in vielen Punkten jeweils über ihren Schatten gesprungen sind und Verantwortung für das Land übernehmen wollen, ist erst einmal ein gutes Zeichen. Für Deutschland sowie für unsere Partner in der Welt.

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