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Mittelbayerische Zeitung: Unheimlicher Partner
Der Westen muss mit Ankara reden, darf sich aber nicht erpressen lassen. Leitartikel von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist ein grandioser Regisseur und zugleich ein Chamäleon-hafter Diplomat. Vor einem Millionenpublikum inszenierte er in Istanbul den vermeintlichen Sieg über die niederträchtigen Putschisten, die das Land vor drei Wochen in eine Militärdiktatur stürzen wollten. Der Sieger feiert sich für einen Sieg, der ihm gleichsam auf dem Silbertablett präsentiert wurde. Die Revolte einiger Generäle und Offiziere, die schon nach wenigen Stunden kläglich in sich zusammenbrach, war für Erdogan ein "Geschenk Gottes". Sie lieferte den Vorwand für "Säuberungen", mit denen Zehntausende Militärs, Staatsanwälte, Richter, Beamte und Journalisten verhaftet, viele gefoltert, abgesetzt und entlassen wurden. Der Schlag, der sich eigentlich gegen die AKP-Herrschaft richten sollte, wurde zum Bumerang. Erdogan nutzt ihn, nicht nur, um mit wirklichen und vermeintlichen Gegnern abzurechnen, sondern auch zum Ausbau seiner Macht. AKP-Getreue rücken an die Stellen auf, die von - aus Sicht des Präsidenten - unsicheren Kantonisten besetzt waren. Ein solch stahlhartes Durchgreifen freilich hat mit demokratischer Machtausübung, hat mit Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit nichts zu tun. Es erinnert eher an die Hitlerzeit in Deutschland, an Stalins Säuberungen in den 30er Jahren oder an China in den schlimmen Zeiten der "Kulturrevolution". Auch Erdogan folgt dem einfachen Schwarz-Weiß-Muster: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Und mit dem Ausnahmezustand kann der Präsident nahezu ungehindert vom Parlament regieren. Die stundenlange Demonstration war zuerst ein Zeichen nach innen, in die Türkei selbst. Mit dem Aufmarsch von Hunderttausenden, teilweise fanatisierten AKP-Anhängern - "Befiehl uns zu sterben und wir werden es tun", war auf Spruchbändern zu lesen - will Erdogan seinem Streben nach einer Präsidial-Diktatur gleichsam einen legitimen Anstrich verpassen lassen. Andersdenkenden, Oppositionellen will der Staatschef deutlich machen, es habe keinen Sinn gegen die Übermacht der AKP anzukämpfen. Für den Westen, vor allem für die EU, bleibt der "Boss vom Bosporus" ein unheimlicher Partner. Doch auch wenn die Gräben nun immer tiefer zu werden scheinen, muss man mit Erdogan weiterhin reden, darf sich aber nicht von ihm erpressen lassen. Natürlich ist die Europäische Union, zumal Deutschland, darauf angewiesen, dass Erdogan seinen Part im Flüchtlingsdeal einhält. Ankara verhindert, dass Flüchtlinge über die Ägäis versuchen, nach Griechenland und damit in die gelobte EU zu gelangen. Allerdings ist Erdogan auch auf die EU angewiesen. Weniger auf die Euro-Milliarden, mit denen sich Ankara das Zurückhalten von Flüchtlingen honorieren lässt, sondern vor allem auf die Investitionskraft der europäischen Wirtschaft. Der türkische Wachstumsmotor, auf den sich Erdogan lange verlassen konnte, ist ins Stottern geraten. Ankara braucht den Westen genauso wie umgekehrt. Dass er den Westen unentwegt anprangert, ihm ungenügende Distanzierung von den Putschisten und Kritik an seinen Säuberungen vorwirft, ist Propaganda nach dem Motto: Haltet den Dieb! Das ist zwar alles sehr plump und vordergründig, doch das hindert viele Türken auch hierzulande nicht, dem starken Mann der Türkei beinahe blind zu folgen. Auf der anderen Seite erweist sich Erdogan als durchaus kühl agierender Diplomat. Er bemüht sich, sowohl die seit Jahren auf Eis liegenden Beziehungen zu Israel zu erwärmen als auch das Zerwürfnis mit Wladimir Putin wieder zu kitten.

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