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Mittelbayerische Zeitung: Olympia ade, Vielfalt ade - Wir sind ein Volk der Bedenkenträger geworden - und sportlich auf dem Weg zur Monokultur Fußball. Von Claus-Dieter Wotruba

Regensburg (ots)

Ein bisschen älter muss jemand inzwischen sein, wenn er die letzten Olympischen Spiele in Deutschland nicht nur aus Erzählungen und Nachschlagewerken kennt. Ich war sechs, als ich - zu Beginn der Farbfernsehzeiten - gebannt vor dem Bildschirm saß und die Spiele 1972 in München verfolgte. Abends, wenn Papa nach Hause kam, berichtete ich, wer was gewonnen hat. Schreiben konnte ich noch nicht, ich musste mir die Sieger und Medaillengewinner merken. Es haben sich Namen eingebrannt, deren Ruhm heute beginnt, zu verblassen: Klaus Wolfermann, der Speerwerfer, oder Geher Bernd Kannenberg. Mit Bestimmtheit sagen kann ich es nicht, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass 1972 stark dazu beitrug, dass ich heute das tue, was ich tue: Über Sport schreiben. Sie mögen mir den persönlichen Ausflug verzeihen, aber sicher bin ich nicht der Einzige, den Olympische Spiele derart geprägt haben. Deswegen war der Sonntagabend ein trauriger: Das Nein zu Hamburg bedeutet wohl, dass ich steinalt werden muss, um mich - vielleicht sogar live im Stadion - an diesem von der Grundidee mitreißenden Großveranstaltung zu ergötzen. Ich bin Realist (oder Pessimist?): Wahrscheinlicher ist, dass ich es gar nicht mehr erlebe. Jetzt mögen manche aufstöhnen, dass es doch klar ist, dass ein Sportjournalist pro Olympia ist. Wenn nicht er, wer dann? Ich gestehe ein, das ist vollumfänglich richtig. Natürlich sind kritische Geister gefragt ob all der leidigen Themen wie Doping, Korruption und Funktionärsgeschacher auf allen Ebenen, nicht nur in der Fifa. Natürlich stellt sich die Frage, ob man die Umwelt platt machen muss, nur damit ein paar Skifahrer um Medaillen den Berg herunterrutschen können. Natürlich muss man auch die fragwürdigen Vergabepraktiken mit Argwohn beobachten, die zuletzt Olympia-Orte zum Kopfschütteln produzierte. Und natürlich ist es richtig, zu versuchen, den Gigantismus zu minimieren, ob dem sicher auch der Wiederbeleber der olympischen Idee, Baron Pierre de Coubertin, im Grabe rotiert. Aber müssen wir immer alles von der negativen Seite betrachten? Dieses Nein ist ein Nein, das wehtut. Dieses Nein ist ein Nein, das zeigt, dass wir ein Volk von Bedenkenträgern geworden sind. Ein Nein so zu bejubeln wie es die Gegner tun, ist vielsagend. Wir wollen Bewegung für unsere Kinder, aber der Spielplatz darf nicht vor meinem Fenster liegen. Zu laut. Unser Innenminister fordert viele Medaillen, und wir alle wollen uns als die Tollsten der Welt feiern lassen, aber viel tun wir dafür nicht - und kosten darf es schon gleich gar nichts. Das Schlimmste aber ist: Niemand geht voran. Dass Vater Staat bei der Finanzierung herumeierte statt klar zu sagen, dass ihm die Spiele wert sind, die Lücken im Hamburger Haushalt abzufedern, war eine Vorlage zum Nein. Ein Land des Sports würden wir gerne sein wollen. Doch Berlin, Leipzig, München, jetzt Hamburg haben gezeigt: Deutschland ist zum Land der gescheiterten Ideen für das sportlich größte Ereignis Olympia geworden. Die Begeisterung für eine sportliche Vielfalt trägt Olympische Spiele scheinbar nicht. Deutschland ist auf dem besten Weg zu einem puren Fußball-Land zu werden, auf dem Weg zu einer sportlichen Monokultur. Dabei müsste man gar nicht unterscheiden, wie die Sport-Historie zeigt. Der Sport hat große Kraft und nicht alles ist nur in Geld messbar. München 1972 hat der Welt einen neuen Blick auf unser Land gegeben. Trotz des Attentats ist die Erinnerung an "heitere Spiele" geblieben. Und die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat bei all den aktuellen Diskussionen genauso beeindruckt - das Bild vom herzlichen Deutschen ging um die Welt und gab uns den Nationalstolz zurück. Es wäre zu schön gewesen zu sehen, was Olympische Spiele mit Deutschland zu tun vermögen. Wir werden es so schnell nicht erleben. Ich wohl gar nicht mehr. Und das ist schade.

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