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Mittelbayerische Zeitung: Trotz aller Zweifel
Das Gericht spricht Gustl Mollath frei, weil es das muss. Sein Fall bleibt dennoch eine Mahnung für die Justiz. Leitartikel von Pascal Durain

Regensburg (ots)

Nur zwei Stunden dauert die Urteilsbegründung. Zwei Stunden für 15 Verhandlungstage, Dutzende Zeugen und noch mehr Vorwürfe. Zwei Stunden, um eine Mammutaufgabe zu stemmen: Das Vertrauen in die Rechtssprecher wiederherzustellen. Und das ist gelungen. Ob es dem Angeklagten selbst nun gefällt oder nicht. Denn nun ist klar: Auch die bayerische Justiz erkennt Unrecht an - Richter haben kein Recht darauf, dass ein falsches Urteil bestehen bleibt. Schon das sorgt für Rechtsfrieden. Dass Gustl Ferdinand Mollath freigesprochen wird, daran gab es schon vor dem ersten Tag keine Zweifel. In diesem Fall erlaubt die Strafprozessordnung - nach vorherrschender Meinung unter Juristen - keinen anderen Ausgang. Wer einmal freigesprochen wurde, darf in einem weiteren Verfahren nicht schlechtergestellt werden. Das Gericht entschied so, wie es nach einer zähen Beweisaufnahme, Taten, die mehr als zehn Jahre zurückliegen und schweigenden Protagonisten nur entscheiden konnte: Wir haben Zweifel. In dubio pro reo. Mollath ist nicht unschuldig, wir können aber nicht ausschließen, dass er damals schuldunfähig war, weil er eine psychische Störung gehabt haben könnte. Und jemand, der schuldunfähig gewesen sein könnte, den können wir nicht schuldig sprechen. Die sechste Strafkammer des Landgerichts Regensburg hat ein Urteil gesprochen, dass wichtig war - ob man sich nun zu den Unterstützern des 57-Jährigen zählt oder nicht. Richterin Elke Escher machte es sich zu keiner Sekunde leicht, so gründlich wurde eine Anklage wegen Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung wohl noch nie aufgerollt. Aber im Kern ging es hier um die Frage: Wie geht die Justiz mit ihren Fehlern um? Und: Ist man bereit, daraus zu lernen? Das ist viel verlangt von einer einzelnen Kammer. Escher hat ihren Vorgängern, den Berufsjuristen im Fall Mollath, Fehler nachgewiesen, sie verkündet und so amtlich gemacht. Mehr als sieben Jahre saß Mollath in psychiatrischen Krankenhäusern - das Gericht wertete die Unterbringung als unzulässig, also als erfahrenes Unrecht. Darum dürften sich die früheren Richter nicht über dieses Urteil freuen, darum wird Mollath entschädigt, auch wenn man sich mit Geld keine Zeit zurückkaufen kann. Die Kammer bewies ihre Unabhängigkeit - auch weil es dem schier unendlich großen Druck der Öffentlichkeit standhielt. Der Angeklagte landete auf den Boden der Tatsachen. Das Gericht ließ Mollath immer wieder gewähren, ihn weit ausholen, Dutzende Suggestivfragen stellen, die nur seiner Profilierung dienten. Zu den Vorwürfen sagte er - außer "Leider habe mich gewehrt" und "Ich habe diese Taten nicht begangen" - nichts. Es wurde immer wieder verdeutlicht: Strafprozess bleibt Strafprozess, Schauprozesse führen wir nicht - auch wenn der Angeklagte das fleischgewordene Mahnmal der Justiz ist, und jedes seiner Worte für Schlagzeilen sorgt. Mollath hat das Gericht zwar mit einem Groll, aber als moralischer Sieger verlassen. Denn sein Fall hat die Justiz verändert. Mollaths Geschichte hat Fehler im System der Strafjustiz offenbart - etwa die vorschnelle Gutachtergläubigkeit von Richtern, das vorschnelle Plädieren von Verteidigern auf Schuldunfähigkeit (Hauptsache Freispruch), den rechtsfreien Raum des Maßregelvollzugs. Reformen sind unterwegs. Der Nürnberger hat dafür gesorgt, dass das Schicksal von all denen, die täglich in forensischen Kliniken einen Albtraum ohne Ausweg ertragen, nicht länger ignoriert wird. Schon deswegen darf sein Name jetzt nicht in Vergessenheit geraten - so seltsam er ist, und trotz aller Fehler, die er gemacht hat. Und trotz aller Zweifel, die an seinem Fall bleiben.

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