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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Syrien/Obama: "Woche der Entscheidung" von Thomas Spang

Regensburg (ots)

Barack Obama hat die Supermacht mit der Debatte über die angemessene Reaktion auf den Chemiewaffeneinsatz in Syrien in eine tiefe Sinn-Krise gestürzt. Diese geht weit über die Glaubwürdigkeit der "roten Linien" hinaus, die ein amerikanischer Präsident zieht. Erst recht daneben liegen die Populisten, die aus der Abstimmung im Kongress ein kleinkariertes Kräftemessen mit dem Weißen Haus machen wollen. Syrien wirft die fundamentale Frage auf, welche Rolle die USA mit ihrer unübertroffenen Militärmacht auf der Weltbühne spielen wollen. Obamas Zaudern, auf eigene Faust zu handeln, reflektiert die Zerrissenheit der Nation nach den Erfahrungen des 11. September und einem Jahrzehnt der Kriege. Das Desaster in Irak hat der Supermacht unübersehbar das Selbstvertrauen genommen, das sie unter Präsidenten wie Ronald Reagan und George W. Bush bis zur Hybris projizierte. Wie sehr die Amerikaner heute mit sich selbst ringen, offenbart der Verlauf der Fronten im US-Kongress. Sie gehen quer durch die ideologischen Lager. Libertäre Republikaner argumentieren so glühend gegen einen möglichen Krieg wie pazifistische Linke. Von Menschenrechten bewegte Obama-Loyalisten entdecken bei ihrem Werben für einen Militärschlag Gemeinsamkeiten mit neokonservativen Falken. Es greift deshalb zu kurz, das Drama um die Syrien-Resolution in den USA allein zur schwierigsten Woche in Obamas Präsidentschaft zu stilisieren. Es geht um weit mehr. Tatsächlich steht der Führungsanspruch Washingtons in der Welt zur Disposition. Verweigert der Kongress Obama die Gefolgschaft, bedeutete dies eine schwere Schlappe für den Amtsinhaber. Viel gravierender wäre jedoch der Abschied der USA aus der globalen Verantwortung, die sie nach dem Zweiten Weltkrieg als Ordnungsmacht übernommen hatten. Es drohte eine Rückkehr in den Isolationismus, der in den 20er und 30er Jahren den Aufstieg des nationalsozialistischen Deutschlands und der Sowjetunion begünstigt hatte. Niemand wünscht sich eine Demütigung des Präsidenten mehr als Russland und China, die den Führungsanspruch der USA seit Langem herausfordern. In der Schwächung der Supermacht sähen deren Konkurrenten eine Aufwertung, die es erlaubte, nationale Interessen und eigene Werte effektiver durchzusetzen. Glaubt jemand ernsthaft, Moskau und Peking ginge es um hehre Prinzipien, wenn sie sich im UN-Sicherheitsrat schützend vor Verbrecher wie den syrischen Diktator Bashir al-Assad stellen? Wohl kaum. Die Blockadepolitik ist nicht viel mehr als global-strategisches Machtkalkül. Historiker werden einmal darüber streiten, wie weise es war, den US-Kongress in die Entscheidung über einen Vergeltungsschlag einzubinden. Die amerikanische Verfassung schreibt dies jedenfalls nicht vor. Sie lässt genügend Ambivalenz, die Obamas Vorgänger zu ihrem Vorteil ausgelegt haben. Darauf gründet der Vorwurf, der Amtsinhaber habe mit seiner überraschenden Kehrtwende das Präsidentenamt geschwächt. Umgekehrt lässt sich argumentieren, dass Obama erspürt hat, wie groß das Risiko wäre, einen Militärschlag im Alleingang zu wagen. Ohne Unterstützung einer Nation, die an sich selbst zweifelt. So zwingt der Präsident seine Landsleute in den Spiegel zu schauen und sich der Frage zu stellen, welche Rolle die USA künftig spielen wollen. Wenn der Präsident morgen zu seinen Landsleuten spricht, muss er den Amerikanern neben seinen Argumenten für ein begrenztes Eingreifen vor allem diese Dimension aufzeigen. Deshalb dürfte es die wichtigste Rede seiner Amtszeit sein. Rückendeckung durch den Kongress stärkte nicht nur Obamas Position im Weißen Haus, sondern bekräftigte den globalen Führungsanspruch der Supermacht. Darum geht es in der kommenden Schicksalswoche.

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