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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Wahl in Italien: Tabubruch auf Italienisch von Julius Müller-Meiningen

Regensburg (ots)

Berlusconi zieht im Kampf um die Macht wieder alle Register. Seine kruden Thesen fallen auf fruchtbaren Boden.

Italien ist politisch ein gespaltenes Land, der demokratische Grundkonsens, wie man ihn etwa aus Deutschland, Österreich oder der Schweiz kennt, ist seit Jahren verloren gegangen. Der Grund dafür sind Silvio Berlusconi sowie die Schwäche der Institutionen und ihrer Vertreter. Viermal war der 76 Jahre alte Unternehmer aus Mailand in den vergangenen 20 Jahren Ministerpräsident, acht Jahre lang hat er als Regierungschef das Land geprägt, zwölf davon als Chef der Opposition. Erneut spukt sein Name als Schreckgespenst durch die Regierungszentralen der EU-Länder. Die Furcht vor einer Rückkehr des großen Zampano nach den Parlamentswahlen in einer Woche ist groß. Zuletzt lag das Berlusconi-Bündnis in den Umfragen bei etwa 28 Prozent, seine Bewegung "Volk der Freiheit" (PdL) versammelt rund 20 Prozent der Stimmen hinter sich. Angesichts der zahlreichen Skandale und des Misserfolgs in der Regierungsverantwortung ist das immer noch viel. Sieht man sich die Zahlen genauer an, wird klar, dass nur noch ein Fünftel der Wähler zu Berlusconi steht. Der Verbündete Lega Nord wäre aus Gründen der Glaubwürdigkeit lieber alleine angetreten, wurde von Berlusconi aber mit machtpolitischen Tricks in eine Koalition gezwungen. Berlusconi profitiert von mehreren Faktoren. Zunächst ist da das desaströse Bild, das die italienische Politik insgesamt abgibt. Unter vielen unbefriedigenden Alternativen ist für nicht wenige Wähler immer noch das Bild vom Unternehmerfreund und Kämpfer gegen die Steuerlast attraktiv. Das bekommt vor allem Ministerpräsident Mario Monti zu spüren, der für hohe Steuern verantwortlich gemacht wird und sich mit einigen unbeliebten Uralt-Protagonisten der italienischen Politik verbündet hat. Berlusconis Versprechungen wie die Abschaffung der verhassten Immobiliensteuer klingen da ebenso verlockend wie unrealistisch. In der Krise denken jedoch viele Menschen zunächst an den eigenen Geldbeutel, die abstrakte Größe des Staatshaushalts und seine Fragilität beeindrucken weniger. Berlusconi kämpft um diejenigen gemäßigten, konservativen Wähler, die sich in den vergangenen Jahren in Scharen von ihm abgewendet haben. Das Szenario einer steuersüchtigen Linken als Feindbild wirkt immer noch. Eine breite Wählerschicht mit geringerem Bildungshorizont lebt in einer Gegenwelt, die Berlusconi in 20 Jahren mit Hilfe seiner Medienmacht geschaffen hat. Darin trachtet eine kommunistische Verschwörung von Sozialdemokraten und Staatsanwälten nach dem Wohlstand der anderen. Insbesondere habe es die vom Neid zerfressene Linke auf den Topunternehmer Berlusconi abgesehen, der mit einem Vermögen von 7,8 Milliarden US-Dollar zu den reichsten Männern des Landes gehört. Auch eine unternehmerfreundliche Schicht, die den Staat nicht zu Unrecht als Ressourcen verschlingenden Moloch empfindet, ist für diese Töne anfällig. Berlusconis Trumpf jedoch ist sein Gespür für diffuse, weit verbreitete, aber öffentlich nie besonders deutlich artikulierte Gefühle der Italiener. Steuerhinterziehung rechtfertigte Berlusconi einst als Notwehr gegen einen unfähigen Räuberstaat. Das ist in Italien kein Skandal, sondern ein breiter Konsens, der sich durch alle Bevölkerungsschichten zieht. Berlusconi hat den Tabubruch perfektioniert. Jüngst verteidigte er die Zahlung von Schmiergeldern, eine durchaus verbreitete Methode. Auch das Lob für den faschistischen Diktator Benito Mussolini, der abgesehen von der Einführung der Rassegesetze Gutes bewirkt habe, war kalkuliert. Die Chancen, dass Berlusconi in der politischen Bedeutungslosigkeit versinkt, sind immer noch gering. Erst, wenn der Rest der politischen Klasse Italiens einen deutlichen Willen zur Umkehr zeigt und sich dieser Wille zur tatsächlichen Erneuerung in funktionierenden und den Bürgern dienenden Institutionen manifestiert, haben Populisten wie Berlusconi keine Chance mehr.

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