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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ukraine/Timoschenko von Ulrich Krökel

Regensburg (ots)

Der Gefechtslärm im Fall Julia Timoschenko hat sich ein wenig gelegt. Mehr als zwei Wochen lang war die Lage durch den Hungerstreik der inhaftierten Oppositionsführerin, die EM-Boykottdrohungen aus Berlin und Brüssel und die harte Haltung in Kiew immer weiter eskaliert. Nun hört Timoschenko auf zu hungern, der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch bläst den Ost-West-Gipfel in Jalta ab, und Deutschland schickt einen Arzt nach Charkiw, statt auf einer Ausreise Timoschenkos zu beharren. Kurz: Die Schlacht hat nur Verlierer hervorgebracht. War es das wert? Ja und nein. Ja, weil sich die europäische Öffentlichkeit sieben Jahre nach der orangenen Revolution endlich wieder mit einem Land beschäftigt, das eine zentrale Bedeutung für das Verhältnis zwischen Ost und West hat. Niemandem in der EU darf es gleichgültig sein, was in dem größten rein europäischen Flächenstaat des Kontinents geschieht. Das Land liegt vor unserer Haustür. Unter Janukowitsch aber verwandelt sich die Ukraine in rasantem Tempo in einen autoritär gelenkten Staat, den sich eine korrupte Elite unterworfen hat, um ihn auszubeuten. Druck auf ein solches Regime auszuüben, ist richtig und wichtig. Gefragt sind nun allerdings Lösungsansätze. Die jüngste Eskalation war vor allem destruktiv, und in diesem Sinne war die Schlacht ihre Opfer nicht wert. Vor allem Deutschland steht in den Augen vieler Europäer plötzlich wieder als Land missionarischer Eiferer da, an dessen Wesen einmal mehr der Kontinent genesen soll. Schon die Belehrungen der bankrotten Griechen in der Euro-Krise hatten diesen Verdacht bei vielen Nachbarn genährt. Es wird höchste Zeit, dass sich die deutsche Diplomatie wieder auf ihre einstige Stärke besinnt: das Gespräch auf gleicher Augenhöhe mit allen. Warum sich die Bundesregierung zu einem öffentlichen Schaukampf mit dem Janukowitsch-Regime hergegeben hat, statt konsequent politisch zu handeln, ist rational schwer erklärlich. Berlin sollte sich in naher Zukunft zurückhalten und das Heft des Handelns in die Hände der EU geben. Da der Ernst der Lage inzwischen allen Seiten klar sein sollte, besteht die Chance zu einem diplomatischen Neubeginn. Kompromisse in Menschenrechtsfragen darf es dabei von westlicher Seite nicht geben. Viel geholfen wäre allerdings schon, wenn man sich von den Pathos-triefenden "Befreit Julia!"-Forderungen verabschieden und substanziell über die Lage und die europäischen Perspektiven der Ukraine sprechen würde - am besten ohne Schaum vor dem Mund. Der polnische Präsident Bronislaw Komorowski hat dazu gestern einen wichtigen Vorstoß gemacht. Er appellierte an den ukrainischen Präsidenten, Timoschenko über eine Strafrechtsreform zu amnestieren. Diese Idee ist zwar schon ein Dreivierteljahr alt. Damals nahm Janukowitsch den Vorschlag zunächst auf, besann sich dann aber eines anderen. So gesehen ist der Komorowski-Plan, den er ursprünglich beim Gipfel in Jalta verkünden wollte, keineswegs bahnbrechend. Er signalisiert jedoch: Lasst uns gemeinsam überlegen, wie wir aus der Sackgasse herausfinden. Es mag frustrierend sein, sich mit einem Mann wie Janukowitsch, der sein Volk knechtet und ausplündert, an einen Tisch setzen zu müssen. Unvermeidlich ist es dennoch. Hinzu kommt: Die Ausgangslage ist gar nicht so schlecht. Vollständig verloren ist das Erbe der demokratischen orangenen Revolution von 2004 noch nicht. Viele Menschen sind bereit, sich ihrem Präsidenten entgegenzustellen. Mit dem ausgehandelten, aber noch nicht in Kraft gesetzten Assoziierungsabkommen hat die EU einen Hebel in der Hand, mit dem man auf die Regierung in Kiew einwirken kann. Dort sind all jene Forderungen nach Rechtsstaatlichkeit und Demokratie festgeschrieben, denen sich Janukowitsch derzeit vor allem wegen des Falles Timoschenko grundsätzlich verweigert. Gelingt es, beide Diskussionen zu entkoppeln, könnte es eine neue Gesprächsgrundlage geben.

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