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WAZ: Kein Gegengewicht, aber ein Gegenentwurf - Kommentar von Alexander Marinos zur Wahl von Frank-Walter Steinmeier

Essen (ots)

Dass Frank-Walter Steinmeier gestern mit großer Mehrheit zum Bundespräsidenten gewählt wurde, ist eine gute Nachricht. Steinmeier hat die Kraft und die Fähigkeit, als Stabilisator in unsicheren Zeiten nach innen und nach außen zu wirken. Das Amt gerade jetzt als Fortsetzung seiner Außenminister-Aktivitäten mit anderen Mitteln zu verstehen, ist angemessen und richtig - wenn er die Innenpolitik nicht aus den Augen verliert.

Ob der gestrige Tag unter rein machtpolitischen Gesichtspunkten auch für CDU und CSU ein guter war, steht auf einem anderen Blatt. War es nun ein Akt der "Selbstverzwergung", einen Sozialdemokraten zu wählen, oder gar ein Zeichen von Souveränität, einen politischen Konkurrenten ins höchste Amt zu befördern? Die kluge, pointierte und tiefgründige Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert gestern dürfte den Christdemokraten und -sozialen die verpasste Chance jedenfalls noch einmal vor Augen geführt haben und die Verzwergungsthese stützen. Lammert wäre auch (!) ein guter Bundespräsident gewesen. Sei's drum.

Fest steht, dass die SPD gerade die Wiederauferstehung als Volkspartei feiert. Die Wahl Steinmeiers mitten in den Schulz-Effekt hinein könnte im Herbst, wenn der Bundestag gewählt wird, rückblickend als Beginn der Nach-Merkel-Ära gelten. Steinmeier zum Präsidenten und Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten gemacht zu haben, hat Noch-Parteichef Sigmar Gabriel jetzt schon zumindest eine Fußnote im Geschichtsbuch gesichert: als genialsten Sich-selbst-Abschaffer aller Zeiten.

Im Rückblick ist man immer schlauer. Das gilt auch für die Frage, ob die Beschreibung der aktuellen Lage als "weltpolitische Zeitenwende" eine Übertreibung ist oder nicht, und welche Rolle dem Bundespräsidenten dabei zukommt. Betrachtet man Steinmeier mit dem Blick auf das halb leere Glas, sinken die Erwartungen. Als Außenminister hat er weder die Ukraine-Krise noch den Syrien-Krieg entscheidend beeinflussen können. Als Typ wirkt Steinmeier blass, farblos und glatt, schlicht langweilig. Andererseits ist es auch sein Verdienst, den Iran nach 13 Jahren Verhandlungen zu einem Anti-Atom-Abkommen bewegt zu haben - einem Abkommen, das der neue US-Un-Präsident wieder aufkündigen möchte. Diesem erfolgreichen Steinmeier ist zu bescheinigen, seine Ziele unaufdringlich, behutsam und diplomatisch-beharrlich zu verfolgen. Kann so einer die Welt retten?

Steinmeier ist der Anti-Trump. Aber er ist dies nicht als Gegengewicht, sondern als Gegenentwurf. Sich mit Taten gegen den neuen Nationalismus der USA und auch innerhalb Europas zu stemmen, kommt derzeit nur der Kanzlerin zu. Steinmeier muss es mit Worten versuchen - als Bundespräsident, dessen gebotene parteipolitische Neutralität ihn tunlichst nicht zu einem Neutrum machen sollte. Kann er das? Wer ihn seinerzeit als Kanzlerkandidat erlebt hat, wie er auf den Marktplätzen "schröderte" - laut, hart, klar -, weiß: Er kann es.

Steinmeier muss und wird sich positionieren: gegen Schwarz-Weiß-Denken, gegen alternative Fakten, gegen Populismus. Das wird sein Thema. Einigkeit und Recht und Freiheit, gestern traditionell von der Bundesversammlung besungen, sind keine Selbstverständlichkeiten. Wie ein Nicht-Demokrat die Grundfesten einer freiheitlichen Gesellschaft erschüttern kann, zeigt gerade ein gigantisch-gruseliges Experiment in Amerika.

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