Alle Storys
Folgen
Keine Story von Westdeutsche Allgemeine Zeitung mehr verpassen.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

WAZ: Helmut Schmidt zum 90. - Zwei Alte - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Zwei deutsche Kanzler haben die Deutschen verehrt.
Konrad Adenauer, der Nach-Nazi-Deutschland seine unzweifelhaft 
demokratische, sozial-marktwirtschaftliche, unverrückbar westliche 
Form gab. Und Helmut Schmidt, der als Frankreich-Freund, 
Amerika-Freund und Vernunft- wie Gesinnungs-Europäer mindestens 
ebenso sehr Adenauers Enkel ist wie Helmut Kohl.
Wobei, was Schmidt von Adenauer in der Wahrnehmung unterscheidet:
Der "Alte" hieß, wie er war. Boccia in Cadenabbia. Schmidt dagegen: 
Deutschland hatte noch nie einen derart jungen, uralten Altkanzler. 
Ein cooler Methusalem. Cool, weil er wie jugendbewegt rücksichtslos 
sagt und tut, was er will (öffentlich rauchen). Ein Uralter, der den 
Jahren trotzt - und seinen Stock bei Auftritten in die Ecke wirft. 
Eine kleine gewagte These: Wir mögen in Helmut Schmidt einen, der 
ziemlich genau so ist, wie wir selbst mit 90 noch gerne wären.
Und noch ein Unterschied zwischen dem ältesten aller 
CDU-Staatsleute und seinem Pensionärs-Pendant von der SPD. Adenauer 
war die CDU, Helmut Schmidt "in der falschen Partei". Seine Haltung 
gegenüber der SPD war und ist eher arrogant: Damals im Parlament 
hatten sie gefälligst ihre Hand für ihn zu heben. Ohne Zahl sind die 
Zitate Schmidts, mit denen er sich über die Romantiker in seiner 
Partei beklagte, die ihre Gesinnung wie selbstverständlich über die 
patriotische Verantwortung eines deutschen Kanzlers stellten. Zumal 
es die Gesinnungsfreunde leicht hatten: Sie konnten sich festhalten 
an Willy Brandt, der auch heute noch für die SPD weitaus mehr Ikone 
ist als Schmidt. Adenauer musste sich über seine CDU nicht 
beschweren, Schmidt sich von seiner SPD hingegen stürzen lassen (es 
half die FDP).
Was sie dann wieder eint, den katholischen Rheinländer und den 
protestantischen Hanseaten, war ihre konservative Lebensführung. 
Schmidt, der Aufsteiger, nie in Brioni. Und Schröder wie Lafontaine 
lachten eher gequält, als Schmidt ihnen die Dauer seiner einzigen Ehe
vorhielt. Und mit Adenauer: die erlittene Kriegserfahrung, die 
Schmidt-Schnauze zutreffend einfach nur "scheiße" nannte. Gnadenlos 
keine späte Geburt. Adenauer wie Schmidt: Versöhnung mit Frankreich, 
Versöhnung mit Israel, Versöhnung Europas, Pflege Amerikas, 
Illusionslosigkeit gegenüber Russland. Darin war auf beide Verlass. 
Sich auf ihre Staatsleute verlassen zu können, mögen die Deutschen, 
heute, in der sausenden Veränderungswelt, mehr denn je. Es ist auch 
nicht die schlechteste aller möglichen politischen Erfahrungen.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
  • 22.12.2008 – 19:39

    WAZ: Müntefering für Rot-Rot - Auf Anbiederungskurs - Leitartikel von Rolf Potthoff

    Essen (ots) - Natürlich, Herr Matschie, es war immer klar, dass jede Landes-SPD über ihre Koalition entscheidet. Nur, so klar, wie es der Parteichef aussprach, war es nie. Müntefering befürwortet Rot-Rot auch im Westen, um "machtpolitisch Zeichen zu setzen". Das geht einen großen Schritt weiter als das lavierende Offenhalten bisher. Der Chef selbst reißt ...

  • 22.12.2008 – 19:37

    WAZ: Kauflust und Krisenangst - Kommentar von Wilfried Beiersdorf

    Essen (ots) - Widersprüchlicher könnten Meldungen dieser Tage nicht sein: "Kauflustige stürmen Innenstädte" und "Konjunkturangst lähmt Verbraucher". Was stimmt? Beides. Das Weihnachtsgeschäft ist im Handel immer ein Ausnahmezustand mit Kundenandrang. Das war auch in früheren Krisenzeiten so. Die Einzelhandelsfunktionäre würden ihren Job nicht gut machen, wenn sie nicht jede Kassenschlange als Beleg für ...

  • 22.12.2008 – 18:26

    WAZ: Streit um die Christmesse - Kommentar von Ulrich Schilling-Strack

    Essen (ots) - Die Kirchen, so wird gefordert, sollten am Heiligabend nur noch den Kirchensteuerzahlern offenstehen. Richtig so, schreibt uns ein Leser, der ADAC helfe ja auch nur seinen Mitgliedern. Ganz so einfach ist das nicht. Die Kirchen sind kein Service-Park. Ihre Botschaft umfasst weitaus mehr, und sie richtet sich an alle Menschen. Ein ...