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BERLINER MORGENPOST: Das Land hat verloren
Leitartikel von Dirk Hautkapp zu Kavanaugh

Berlin (ots)

Kurzfassung: Mit der Durchsetzung des bis an sein Lebensende mit dem Stigma eines mutmaßlichen Sex-Täters belasteten Juristen Brett Kavanaugh hat der Präsident auf Jahrzehnte eine konservative 5:4-Mehrheit am Obersten Gerichtshof zementiert. Eine Grundsatzentscheidung, gegen die sich Trumps Präsidentschaft im Rückblick als bizarre Fußnote der Geschichte ausnehmen wird.

Der vollständige Leitartikel: Keine zwei Jahre nach Amtsantritt hat Donald Trump sein Soll bereits übererfüllt. Mithilfe willfähriger Republikaner, die nach der Devise verfahren: "Right or wrong, my president" ("richtig oder falsch, er ist mein Präsident"). Mit der Durchsetzung des bis an sein Lebensende mit dem Stigma eines mutmaßlichen Sex-Täters belasteten Juristen Brett Kavanaugh hat der Präsident auf Jahrzehnte eine konservative 5:4-Mehrheit am Obersten Gerichtshof zementiert. Eine Grundsatzentscheidung, gegen die sich Trumps Präsidentschaft im Rückblick als bizarre Fußnote der Geschichte ausnehmen wird. Für die politisch-religiöse Rechte in Amerika ist das ein Jahrhundertereignis, das alles überstrahlt. Auch die oberflächlich glänzenden Wirtschaftsdaten. Für den demokratisch orientierten und sich demografisch unaufhaltbar weiter nach links entwickelnden Teil der USA endeten die vergangenen Wochen mit einem Waterloo hoch zwei. Für die Republikaner ist der Ausgang jedoch zwiespältig. Dem strategischen Sieg, einen ideologisch leicht anspielbaren Richter über die Ziellinie geschleppt zu haben, steht der Tatbe-stand einer totalen Unterwerfung gegenüber. Trump hat die Partei, in der scheinbar mutige Wackelkandidaten am Ende doch nur Wackeldackel waren, auf seinen Kurs gezwungen: Politik als schrilles Wrestling-Match. Am Ende muss im Käfig Washington immer jemand am Boden liegen und bluten, damit die Massen grölen können. Die Demokraten stehen nicht sehr viel besser da. Ihr Saubermann-Anspruch bei der Aufklärung gegen Kavanaugh hat früh unter taktischen Spielchen gelitten. Rache als beherrschendes Motiv gegen den Konservativen Kavanaugh macht sich nicht gut. Verloren hat aber das ganze Land. Die Methoden trugen auf beiden Seiten teilweise mafiöse Züge. Die Grundlagen des Gemeinwesens und das Vertrauen in die Lauterkeit der Entscheidungsprozesse wurden weiter unterspült. Politik im 21. Jahrhundert ist in Amerika endgültig zum pathologisch dreckigen Geschäft verkommen. Ein Land, das in zwei Hälften zerfällt und Heiler statt Spalter bitter nötig hat, ist zusätzlich traumatisiert worden. Denn Kavanaughs Sieg ist die erste Niederlage für die #MeToo-Bewegung, die bei sexuellem Machtmissbrauch ein gesellschaftliches Großreinemachen erzwingen wollte. Trotz erheblicher Vorwürfe haben letztlich alte weiße Männer mit Scheuklappen an den Augen die Unschuldsvermutung gegen einen Geschlechtsgenossen durchgeboxt. Nicht, weil es nach Indizienlage alternativlos gewesen wäre. Sondern einfach weil sie es konnten. Das gebildetere, weibliche Amerika wird das nicht vergessen. Der Oberste Gerichtshof, in der Verklärung lange die letzte Oase gewesen, in der nicht Intrigantentum und das politische Hackebeil regierten, ist massiv in seiner Autorität beschädigt. Immerhin darf dort ein mitnichten über jeden Zweifel erhabener Gelegenheitscholeriker, der seine juristische Agenda eng an der Brust spielt, ab morgen Recht sprechen. Und das bei bester Gesundheit bis in die Jahre 2050 und folgende. Das könnte am 6. November bei den Kongresswahlen die gegenläufige Antwort auslösen: einen Denkzettel der erzürnten demokratischen und unabhängigen Wählerschaft. Verlassen allerdings darf man sich darauf nicht. Brett Kavanaugh wirkt auf Trumpianer wie eine Überdosis Viagra. Viele wollen es den Linken doppelt heimzahlen und gegen alle Gewohnheiten abstimmen. Mit erneuerten republikanischen Mehrheiten im Kongress hätte Trump dann einen ersten Grundstein für seine Wiederwahl 2020 gelegt.

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