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Berliner Morgenpost: Merkels Charme kann Politik nicht ersetzen - Leitartikel

Berlin (ots)

Gemessen an den Erwartungen war der Besuch von
Angela Merkel ein Erfolg. Denn die Erwartungen waren trübe, und daran
hatte die Kanzlerin durchaus Anteil. Warum hat sie sich in den Tagen 
davor auf ein gegenseitiges Hochschaukeln von Sticheleien und 
Schroffheiten mit ihrem türkischen Gastgeber eingelassen? Sicher, 
Merkel hat die Wogen in Ankara und Istanbul so charmant wie 
erfolgreich geglättet. Ein schaler Verdacht bleibt, dass klare Kante 
gegen die Türken im nordrhein-westfälischen Wahlkampf gut ankommen 
sollte.
So etwas passt eigentlich nicht zu Merkel. Und eine Kampagne, die mit
Ressentiments spielt, ist zuletzt in Hessen für die CDU schlimm 
gescheitert. An Rhein und Ruhr, wo die meisten leben, die einmal aus 
der Türkei nach Deutschland kamen, ist man in Sachen Integration 
vielerorts sowieso weiter, als man im fernen Berlin glaubt. Es sind 
immer öfter Problembezirke der überforderten Metropole, die den 
Diskurs in der Hauptstadt prägen. Aber die Unübersichtlichkeit des 
von Migranten und Lebenskünstlern geprägten Kreuzberg ist meilenweit 
entfernt von der Lebenswelt der meisten deutschen Türken. Die 
schätzen ordentliche Verhältnisse mindestens so sehr wie Deutsche, 
träumen von Reihenhäuschen und schicken ihre Kinder, wenn sie es sich
erlauben können, gerne in Privatschulen, selbst wenn diese von 
christlichen Kirchen betrieben werden. Wo es schon türkische 
Gymnasien gibt, werden diese weder vom türkischen noch vom deutschen 
Staat getragen, sondern von engagierten Eltern. Hier hätte Merkel im 
Schulstreit ansetzen können. Nach dem Motto: Uns ist jeder Bürger 
willkommen, der sich für gute Schulen engagiert.
Überhaupt offenbarte Merkels Türkeireise inhaltliche Schwächen, die 
durch routiniertes Politikmanagement nur überdeckt werden können. Ein
Beispiel: Als Kanzlerin steht Merkel für ergebnisoffene Verhandlungen
über eine EU-Mitgliedschaft der Türkei. Als Parteivorsitzende ist sie
dagegen.
Zweites Beispiel: Es war richtig, Integration zum Schwerpunkt der 
Reise zu machen. Aber welche Positionen vertreten die Kanzlerin und 
ihre Partei eigentlich? Die linke Konkurrenz ist hier sehr klar: Mit 
der Einheitsschule sollen Nachteile des Elternhauses ausgeglichen 
werden, mit der doppelten Staatsbürgerschaft den Migranten die 
Entscheidung über ihre Identität abgenommen werden. Dagegen spricht 
viel. Etwa, das man Ungleiches nicht gleich behandeln kann und 
Menschen nur ein Vaterland haben. Aber eine durchdachte konservative 
Position ist diese Ablehnung noch nicht.
Beispiel 3: Mittlerweile hat sich bis an den Bosporus 
herumgesprochen, dass in Deutschland Parallelgesellschaften 
entstanden sind. Die Debatte, wie man sie aufbricht, wird geführt - 
aber nicht von Merkels Regierung, sondern von Sozialdemokraten wie 
Heinz Buschkowsky und Thilo Sarrazin. Für die schwarz-gelbe 
Bundesregierung. spielte das Thema bisher keine Rolle. Das sollte es 
aber: Denn über den Erfolg der Türken und Türkischstämmigen in 
Deutschland wird glücklicherweise nicht in Ankara entschieden, 
sondern in Berlin.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

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