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Berliner Morgenpost: Ahmadinedschad und die Macht der Straße - Kommentar

Berlin (ots)

Wer bei einem politischen Krimi in Echtzeit
mitfiebern will, muss sich ins Internet begeben. Auf 
Online-Plattformen wie Twitter, Facebook und Youtube werden die 
Geschehnisse in Teheran in Sekundenbruchteilen geschildert, mit allen
Schwächen und Fehlerquellen, die die digitalen Medien mit sich 
bringen. Als wäre es ein modernes TV-Drama wie "24", drängen ständig 
neue Informationen, Bilder, Filmsequenzen an die weltweite 
Öffentlichkeit, wobei nie ganz klar ist, wer authentisch berichtet, 
wer sich aufspielt oder gezielte Desinformation betreibt.
Das Internet ist bei allen Unzuverlässigkeiten eine der wenigen 
Quellen für die Lage im Iran. Denn Journalisten werden systematisch 
an ihrer Arbeit gehindert. Die digitale Kommunikation aber lässt sich
mit Schlagstöcken nicht bremsen. Klar ist: Die Luft brennt, nicht nur
in Teheran, sondern überall im Land. Die Schläger des Präsidenten und
Geheimpolizisten gehen mit großer Brutalität vor, die Protestierer 
fliehen auf die Dächer, aber halten dagegen. Es liegt ein Hauch von 
Tiananmen in der Luft. Hunderttausende, vielleicht Millionen 
versammelten sich gestern Nachmittag auf Teherans Straßen, um ihrem 
Unmut Ausdruck zu geben: Es reicht.
Längst geht es den Menschen nicht mehr nur um den Vorwurf der 
Wahlfälschung. Eine Mehrheit der Bürger hat den angeblichen 
Wahlsieger Mahmud Ahmadinedschad offenbar satt. Dessen atomare 
Großmannssucht, seine Drohgebärden nach Washington und die 
Vernichtungsfantasien gegen Israel treiben das seit Jahrzehnten 
geschundene Land in die Isolation und verschlechtern anhaltend die 
Lebenschancen. Nur zur Erinnerung: Es waren die Proteste gegen den 
Besuch des Schahs, die vor 42 Jahren in Berlin die Unruhen von 68 
einleiteten. In Deutschland hat sich seither viel getan; im Iran 
kaum. Die Menschen leben seither mit Revolutionen, Kriegen und leeren
Versprechen.
Bereits bei den Kommunalwahlen im Dezember 2006 deutete sich die 
landesweite Unzufriedenheit mit Ahmadinedschad an, als seine 
Unterstützer dramatisch verloren. Dass der oberste Glaubenswächter 
und militärische Oberbefehlshaber Ayatollah Chamenei nun verkündet, 
die Wahlbetrugsvorwürfe würden untersucht, lässt sich als 
Misstrauensbekundung gegen den Regierungschef verstehen.
Offenbar haben die Menschen im Iran geschafft, was weder dem früheren
US-Präsidenten George W. Bush noch dem UN-Sicherheitsrat gelungen 
ist. Mit den Mitteln des Protests wird Ahmadinedschad ins Wanken 
gebracht. Nicht die Androhung von Krieg oder Embargo destabilisiert 
den unbeliebten Präsidenten, sondern die Macht der Straße. "Wir in 
Teheran sind zehn Millionen. Und alle werden marschieren", verkündete
ein anonymer Twitterer.
Wie die Unruhen im Iran ausgehen, ist derzeit völlig offen; klar ist 
jedoch: Die Ära Ahmadinedschad neigt sich ihrem Ende entgegen. 
Brutale Gewalt gegen das eigene Volk können auch die Glaubenswächter 
nicht lange ignorieren.

Pressekontakt:

Berliner Morgenpost
Chef vom Dienst
Telefon: 030/2591-73650
bmcvd@axelspringer.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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