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Börsen-Zeitung: Der Nächste, bitte!, Leitartikel von Walther Becker zur Konsolidierung in der Pharmabranche

Frankfurt (ots)

Sie stoßen sich gesund und bauen damit die
Pharmaindustrie in Europa um: Familiendominierte Konzerne 
strukturieren das Feld zwischen Nischenanbietern und ganz großen 
Spielern neu. In wenigen Tagen hat sich das Bild durch die Verkäufe 
von Schwarz Pharma, Altana und Serono gewandelt. Unterhalb der 
Multis, der Liga von Pfizer, Glaxo, Sanofi & Co., suchen die 
mittelgroßen Akteure ihr Heil in der Größe. Allerdings wächst dabei 
vielfach zusammen, was nicht zusammengehört. Die Deals wirken, als 
seien sie aus der Not geboren. Und so heißt es unverdrossen: Der 
Nächste, bitte!
Zwei Familien haben nun ihre liebe Not, den Geldsegen anzulegen: 
Die Quandt-Erbin Susanne Klatten verkauft die Medikamente-Aktivitäten
der ihr mehrheitlich gehörenden Altana und streicht dafür 2 Mrd. Euro
ein. Die Familie Bertarelli, die drei Viertel der Stimmrechte an 
Serono hielt, gibt in einer 10,6 Mrd. Euro schweren Transaktion ihre 
Firma an Merck ab. Denn der hinter dem deutschen Konzern stehende 
Clan hat sich in der Konzentrationswelle für die Offensive 
entschieden und ist sogar bereit, 1 Mrd. Euro an eigenem Geld für den
Serono-Deal abzuzwacken sowie eine Verwässerung seines Anteils in 
Kauf zu nehmen.
Nun gibt auch Schwarz Pharma die Eigenständigkeit auf. Die 
belgische UCB will den von der Familie Schwarz-Schütte dominierten 
Konzern für 4,4 Mrd. Euro übernehmen. Hier macht die Familie nicht 
Kasse, wie bei Altana und Serono. Der Clan, der 60% an Schwarz Pharma
hält, beteiligt sich an UCB mit gut 40% über den Aktientausch. Wen 
wundert es, dass hinter UCB eine Familie steht: Die Sippe um Gründer 
Janssen ist größter Aktionär. Familienunternehmen sind nun weitgehend
heraus aus dem Spiel. Als Zielobjekte könnten Organon - von Akzo 
Nobel abgespalten -, die belgische Solvay oder Novo Nordisk und 
Lundbeck aus Dänemark in Betracht kommen.
Kleine und mittelgroße Pharmahersteller konnten bisher mit 
einzelnen Produkten über Jahre hinweg prosperieren. Doch auf lange 
Sicht gelingt es nur wenigen, immer wieder genügend Innovationen 
hervorzubringen und damit zu wachsen - Altana und Serono belegen 
dies. Auch Schering enttäuschte wiederholt mit Neuentwicklungen. Auf 
der anderen Seite können Multis, die mit großen Budgets die 
milliardenschwere Entwicklung neuer Medikamente angehen, Erfolg 
haben. Denn sie verteilen das Risiko von Fehlschlägen auf mehr 
Einzelprojekte. Die Mittelständler indessen drohen unter die Räder zu
kommen. Zusätzlicher Handlungsdruck entsteht, weil die Zahl der 
interessanten Fusionspartner mit jeder Übernahme sinkt. Da entsteht 
Torschlusspanik, weil die Akteure fürchten, niemanden mehr zu finden.
Schon die Deals vor Schwarz von Merck und Serono, von Bayer und 
Schering sowie von Altana sind ein Produkt der Schwäche - und zwar 
der eigenen Forschung.
So ist die industrielle Logik dabei nicht immer zu erkennen. Was 
hat die von künftiger Generika-Konkurrenz bedrohte Altana, die mit 
Pantoprazol viel zu lange alles auf eine Karte setzte, mit einem 
reinen Vertriebsunternehmen wie Nycomed zu tun, das über keine 
eigenen Innovationen in der Pipeline verfügt? Wieso zieht es Merck, 
die Vitamine herstellt, Generika produziert, in der Spezialchemie 
tätig ist und Komponenten für Flüssigkristall-Displays fabriziert, in
die Biochemie? Immerhin ergänzen sich die Arbeitsgebiete von UCB, die
sich auf Allergien, zentrales Nervensystem, Atemwegsbeschwerden und 
Krebs spezialisiert hat, mit der Palette von Schwarz, die in 
Herz-Kreislauf, Magen-Darm, Asthma, und Neurologie tätig ist. Dies 
ist auch bei Schering und Bayer der Fall, wo es nur in der Onkologie 
Überschneidungen gibt.
Auf eine Familie ist Verlass: Boehringer Ingelheim. Die Gruppe ist 
nach wie vor ein unabhängiges, forschendes und produzierendes 
pharmazeutisches Unternehmen - und will dies auch bleiben. Der Gang 
an den Kapitalmarkt würde wegen der kurzfristigen Gewinnerwartungen 
den prosperierenden Konzern nur belasten, meint die Familie. 
Boehringer wächst international aus eigener Kraft, auch mittels 
Akquisitionen. Die Ingelheimer zählen international zu den 
forschungsintensivsten Unternehmen. Boehringer wettet nicht auf 
wenige Medikamente, sondern ist breit aufgestellt.
Abgesehen von Boehringer verliert Deutschland, früher als 
"Apotheke der Welt" apostrophiert, im Zuge der Konzentration an 
Bedeutung. Hoechst ist längst in Sanofi-Aventis aufgegangen, 
Boehringer Mannheim in Roche, Hexal in Novartis, und die BASF-Pharma 
wurde vor Jahren in die USA verkauft. Nun geht Altana Pharma an ein 
dänisches Unternehmen, Schwarz an ein belgisches, und Merck verlagert
die ethischen Arzneimittel im Zuge der Serono-Übernahme in die 
Schweiz. Immerhin sind Bayer mit Schering sowie Merck, die zuvor bei 
Schering abgeblitzt war, treibende Kräfte der Übernahmewelle.
Ein Trostpflaster: Die außenstehenden Aktionäre werden nach dem, 
was bisher bekannt ist, in den Deals fair behandelt. Sie profitieren 
von ordentlichen Übernahmeprämien beziehungsweise der 4-Mrd.-Euro 
Sonderausschüttung im Falle der Altana.
(Börsen-Zeitung, 26.9.2006)

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