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Der Tagesspiegel: Geplanter Gedenkgottesdienst für verstorbenen Filbinger löst Kontroverse aus

Berlin (ots)

Der für Dienstag geplante Gedenkgottesdienst, den
die Gemeinde der Sankt Hedwigs Kathedrale für den verstorbenen 
ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Würtemberg, Hans Filbinger, 
ausrichtet, hat zu kontroversen Reaktionen in der politischen 
Öffentlichkeit der Bundeshauptstadt geführt. Beim Gottesdienst will  
Prälat Wolfgang Knauft in einer Ansprache daran erinnern, dass der 
Verstorbene in seinem früheren Amt als NS-Marinerichter den Berliner 
Priester Karl Heinz Möbius vor der Vollstreckung eines Todesurteils 
bewahrt habe.
Dem Senat ist von dem Gottesdienst nichts bekannt. "Zu 
Veranstaltungen der katholischen Kirche gibt es keinen Kommentar", 
sagte Senatssprecher Günter Kolodziej. Deutlicher wird SPD-Landeschef
Michael Müller. "Filbinger hat bis zum letzten Tag des ,Dritten 
Reiches' als Richter in hervorgehobener Position NS-Recht gesprochen,
ohne sich davon zu distanzieren. Im Gegenteil: Auch in der 
Nachkriegszeit ist Filbinger mit seiner Geschichte unkritisch 
umgegangen." Aus diesem Grund sei es "nicht nachvollziehbar", warum 
ein Gedenkgottesdienst stattfinden solle.
FDP-Landeschef Markus Löning wertete den Gottesdienst für 
Filbinger als "Desaster". Filbinger stehe für die Unbelehrbaren aus 
der NS-Zeit. "Er war ein Uneinsichtiger, der sich nicht zu seiner 
persönlichen Schuld bekannt hat."
Auch Grünen-Fraktionschefin Franziska Eichstädt-Bohlig hält eine 
"posthume Ehrung Filbingers für nicht angemessen". Eine Gedenkandacht
sei "sehr makaber, weil er nachgewiesenermaßen an Todesurteilen 
beteiligt war."
Vorsichtiger formulierte es CDU-Generalsekretär Frank Henkel: 
Filbinger sei eine "differenziert zu betrachtende Persönlichkeit. Man
sei deshalb gut beraten, "alle Facetten seines Wirkens" zu 
berücksichtigen.
Die Andacht sei schon seit Tagen geplant, sagte gestern der 
Sprecher des Erzbistums Berlin, Stefan Förner. Keinesfalls handle es 
sich um eine "Trotzreaktion" auf die Kritik am Filbinger-Nachruf des 
baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger. Es 
gehe auch nicht darum, Filbingers Beteiligung an Todesurteilen "zu 
beschönigen".
Der Gedenkgottesdienst ist laut Förner keine Veranstaltung des 
Erzbistums, sondern erfolgt auf Initiative des Prälaten Wolfgang 
Knauft und der Domgemeinde. Knauft war bis zu seiner Pensionierung 
1996 für die Kirchenmedien zuständig und gilt als Experte für das 
Schicksal der von den Nazis verfolgten Priester. Viele Katholiken 
wussten gestern allerdings noch nichts von dem Gedenkgottesdienst. 
Auch Hans-Joachim Meyer, Präsident der höchsten Laienorganisation, 
des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, war nicht informiert. 
Er selbst distanziere sich kritisch "von der Unbelehrbarkeit 
Filbingers", betonte Meyer. Eine Gedenkandacht für einen Toten sei 
andererseits "immer gut". Beides müsse man "ausdrücklich 
auseinanderhalten". Der Fall des von Filbinger geretteten Priesters 
Möbius war ihm bisher nicht bekannt.
Filbinger berichtete in seinem Buch "Die geschmähte Generation" 
über Aussagen von Pfarrer Möbius, der ihm in Briefen für seine Hilfe 
gedankt hat: Möbius wurde 1944 wegen "Zersetzung der Wehrkraft" zum 
Tode verurteilt. Dieses Urteil wurde später "dank Filbingers 
Intervention" aufgehoben, so Prälat Wolfgang Knauft. Die Schreiben 
des Pfarrers sind im Diözesanarchiv Berlin dokumentiert. Knauft: "Es 
ist eine Pflicht der Gerechtigkeit, Filbinger dafür zu danken - auch 
wenn er ansonsten im Strudel der Kritik steht."

Pressekontakt:

Der Tagesspiegel
Chef vom Dienst
Thomas Wurster
Telefon: 030-260 09-308
Fax: 030-260 09-622
cvd@tagesspiegel.de


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