Merz, Wadephul und der Respekt
Raimund Neuß zur USA-Reise des Bundeskanzlers und zur neuen deutschen Außenpolitik
Köln (ots)
Für Friedrich Merz wird es der bisher schwierigste Termin seiner Amtszeit: Knapp einen Monat nach seiner Wahl wird der Bundeskanzler von US-Präsident Donald Trump im Weißen Haus empfangen.
Was hängt davon ab? Sicher: Was immer Besucher mit Trump besprechen, einen Tag später kann für den US-Präsidenten alles wieder anders aussehen. Was Merz aber im Interesse aller Europäer erreichen kann und muss, ist, den Respekt zu festigen, den Trump offensichtlich vor ihm hat.
In Deutschland gibt es viele Kritiker, die Merz seine frühere Arbeit für eine große Kapitalanlagegesellschaft verübeln - bei Trump dürfte das Eindruck machen. Demütigende Spielchen wie mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj oder dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa wird sich Trump Merz gegenüber nicht herausnehmen. Im Gegenteil. Er hofiert ihn durch die Unterbringung im Gästehaus der Präsidenten. Und Pentagon-Chef Pete Hegseth hat die neue Bundesregierung bei seiner Fernostreise mit ungewohntem Lob bedacht, weil sie sich zum Ausgabenziel von fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung und militärisch bedeutsame Infrastruktur bekennt.
Merz und sein Außenminister Johann Wadephul sind allerdings Rechtsanwälte und sollten sich auf eine Grundtugend ihres Berufsstandes besinnen: das überlegte Formulieren. Was treibt den Kanzler dazu, den US-Präsidenten im WDR-Talk zu imitieren? Was ist aus dem von Merz mit einigen Partnern ausgesprochenen Ultimatum an Russland im Ukraine-Krieg geworden? Warum sagt Wadephul, man habe sich insofern "ein wenig ehrlicher gemacht", als es keine "komplette Niederlage im Sinne einer Kapitulation des atomar bewaffneten Russland" geben werde? Welcher verantwortliche deutsche Politiker hätte denn von einer Kapitulation fantasiert? Und könnten Wadephul und das Kanzleramt bei Waffenlieferungen an Israel bitte eine Linie finden?
So erfreulich das Bekenntnis der neuen Bundesregierung zu einer diplomatischen Führungsrolle in Europa ist - daraus wird nur etwas, wenn Merz und Wadephul realisieren, dass sie einen Langstreckenlauf anführen. Wie fern eine Verhandlungslösung im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine liegt, hat der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja letzte Woche wieder demonstriert. Die Hamas wird von ihrem Vernichtungswillen nicht ablassen, Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu nicht von seinem Bündnis mit Siedler-Extremisten und China nicht von seiner Aggression gegenüber den Nachbarn. Das alles angesichts eines prononciert unberechenbar auftretenden US-Präsidenten.
Umso mehr sollten die Deutschen und ihre europäischen Partner auf Abgewogenheit und ausdauernde Geduld setzen, beim Merz-Besuch in Washington und auch andernorts. Respektiert wird auf Dauer der, dessen Aussagen belastbar sind. Auch wenn das den Verzicht auf die manches schlagzeilenträchtige Bonmot bedingt.
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