Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG)
Kooperative Regionalleitstelle Nord - Es geht auch anders
Flensburg (ots)
Die nördlichste Leitstelle Deutschlands ist eine von über 250 Leitstellen im Bundesgebiet und beherbergt die 110 und 112. Ein Besuch bei den Kolleginnen und Kollegen im bundesrepublikanischen nördlichsten Zipfel hat Eindruck hinterlassen.
Harrislee ist ein kleines Örtchen in Schleswig-Holstein, unweit der dänischen Grenze. Ein eher schlichtes Fleckchen, welches man übergangslos erreicht, wenn man Flensburg nach Norden verlässt. Das Wetter ist in der "Leitstelle Nord" in etwa so, wie man es in der Küstenregion. Unberechenbar. Regen queer, Sonne, Hagel, doch "stürmisch ist es erst, wenn die Schafe keine Locken mehr haben" kommentiert Helge Petersen. Selbst tief verwurzelt in der Region ist Helge langjähriger Mitarbeiter der Notrufcrew für Rettungsdienst und Feuerwehr.
Helge Petersen ist nicht nur Mitarbeiter der Leitstelle, sondern auch gelernter Verwaltungsjurist und nennt sich selbst "ehemaliger Krankenwagenfahrer". Letzteres ist ihm nicht mehr möglich, denn Helge ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Eine lange Geschichte.
Doch hier beginnt bereits meine Reise durch die Leitstellenwelt der drei nördlichen Gebietskörperschaften Schleswig, Flensburg und Nordfriesland.
Ende 2023 wurde ein Neubau der Leitstelle Harrislee übergeben. Bereits der erste Eindruck vor Ort entlockte mir ein anerkennendes Brummen. Dabei geht es nicht nur darum, dass mir ein ästhetischer Anblick eines modernen und barrierefreien Baus gegönnt war. Sicherheit spielt eine tragende Rolle in der Branche, und selbst wenn es immer was zu verbessern gibt, beeindruckt mich zu sehen, was denn alles geht, wenn man will.
Dass ich darauf weder eingehen kann, noch will, versteht sich sicher von selbst. Leitstellensicherheit ist meiner Ansicht nach ein vernachlässigtes Thema, welches seine Gründe in einer Unbeschwertheit der Vergangenheit hat.
Doch auch in anderer Hinsicht war es beeindruckend zu sehen, woran man alles gedacht hat. Beginnend mit Pkw-Stellplätzen inklusive Lademöglichkeiten für E-Pkw, aber auch überdachte Fahrradständer. In direkter Reichweite Steckdosen, um kostenlos E-Bikes zu laden.
Wenn in Krisensituationen auch dringend dienstfreies Personal benötigt wird, steht dem oft eine Betreuungsproblematik entgegen. Die geschlossene Kita am Abend oder am Wochenende veranlasste den Dienstherren, eine Lösung mit Kooperationspartnern zu suchen.
Dem Gedanken folgend, steht auch ein Raum für die Kinderbetreuung zur Verfügung.
In den Pausen können die Kolleginnen und Kollegen auf dem großzügigen Gelände kleine Runden machen, vorbei an naturbelassenen Wiesen. Vereinzelt eine Sitzgelegenheit.
Auch innerhalb des Gebäudes kleine Atrien und "Meetingpoints". Hier und dort gibt es eine Möglichkeit, sich in der Pause niederzulassen oder sich auszutauschen. Auch ein gut ausgestatteter Sportraum fehlt nicht. Aus meiner Erfahrung heraus schaue ich auf solche Möglichkeiten anerkennend und neidisch.
Ich treffe mich mit Helge und bekomme einen großartigen Rundumblick und auch eine kurze geschichtliche Abhandlung zur Entstehung. Und auch von seiner Rolle erzählt er mir einiges. Nicht zuletzt auch davon, dass die eine oder andere bauliche Überlegung ihm, der er im Rolli unterwegs ist, galt.
In Harrislee hat man etwas Wesentliches verstanden. Rettungsdienstler und Feuerwehrleute erleiden Unfälle oder werden krank, werden älter und einiges mehr. Auch wenn die Leitstelle nichts für jeden ist, und eine Leitstelle auch nicht jeden will, vergessen wir Kolleginnen und Kollegen mit Handicap. Man schickt sie eher in den Ruhestand, als nach Alternativen zu suchen. Know-how, Erfahrungen und nicht zuletzt auch Selbstwertgefühl gehen dabei verloren.
Gleichzeitig sucht man Personal, welches es nur schwer gibt. Wenn man es findet, muss man intensiv über Jahre ausgebildet werden. Harrislee hat zumindest alles getan, um sich einer weiteren Chance der Personalgewinnung nicht zu berauben.
Während des Rundgangs begegnen mir Kolleginnen und Kollegen der sieben im Dienst befindlichen 112er und 10 Schutzmänner und Frauen, die unter der 110 erreichbar sind. Die Leitstellenräume beider "Organisationen" sind, wenn auch nur durch eine Glastür, voneinander getrennt. Das macht die Abwicklung gemeinsamer Einsätze um einiges leichter. Die Sozialräume teilt man sich innerhalb des großzügigen und hellen Gebäudes.
Die Eurofunkarbeitsplätze lassen wenig Wünsche offen, die Anordnung im Raum verfolgt konsequent die Philosophie eines Miteinanders, aber bietet auch die ablenkungsfreie Atmosphäre, die es braucht. Sogenannte abgeschirmte Nebenarbeitsplätze erleichtern die Behandlung spezieller Einsatzlagen und ermöglichen, Kapazitäten unkompliziert zu erweitern.
Erst seit Kurzem arbeitet man mit einem "Standardisierten Notruf-Abfrageprogramm" (SNA oder SNAP). Ein guter und wichtiger Schritt nach vorn. Vorher bediente man sich eigener Algorithmen und Verfahrensweisen, man war also nicht komplett Freestyle. Dass man mit Einführung echter Protokollarbeit noch Nachholbedarf in Auswertungen des Meldebilds vs. Lagebilds hat, ist klar. In der Hinsicht ist beispielsweise Berlin sensationell gut.
Persönliche Gespräche mit Hintergrunddiensten und ein Einblick in den Workflow im Leitstellenraum zeigten mir auch die Seele hinter all der Technik und den Möglichkeiten. Spannend fand ich die selbstkritische Haltung zur eigenen Qualität, zu dem, was noch alles fehlt, wo man hinterherhängt.
Das war für mich schon immer ein Indiz dafür, dass es vermutlich besser ist, als man denkt und im Durchschnitt erlebt. Letztendlich auch eine klassische Beobachtung im Dunning-Kruger-Effekt. Kurz gesagt; je besser man wirklich wird, desto selbstkritischer ist man in der eigenen Analyse der Fähigkeiten.
Und sie sind gut.
Beginnend damit, dass man, wenn auch Dienstkleidung tragend, auf "Lametta", auf Rangabzeichen, verzichtet und doch durch das einheitliche Auftreten ein Zugehörigkeitsgefühl aufbaut. Auf Augenhöhe werden Fehler unaufgeregt analysiert und kommuniziert, und das CRM (Crew Ressource Management), wird sichtbar gelebt. In meiner Welt die Basis des Qualitätsmanagements. Natürlich habe ich nur einen kleinen Ausschnitt erlebt und kann daher schwerlich sagen, ob es immer so ist. Doch es macht Hoffnung, und ich würde es mir wünschen.
Kaum deutlicher hätte mir bei all den Gesprächen der Unterschied zwischen einer Regionalleitstelle und einer Leitstelle der Berufsfeuerwehren bewusst werden können. Die Regionalleitstelle Nord schneidet hierbei besonders gut ab.
Ich möchte dabei nicht missverstanden werden. Das ist ein organisatorisches und ideologisches Phänomen. Die Leitstelle in Feuerwehren wird einstweilen als "notwendiges Übel" betrachtet, eine Regionalleitstelle steht für sich. Das bedeutet nicht, dass Kolleginnen und Kollegen, die in Feuerwehrleitstellen arbeiten, weniger engagiert oder interessiert sind.
Auch wenn diese "Harrislee Hymne" schon fast einem Werbeblock gleicht, freut es mich dennoch, etwas Positives in der "Branche" zu schreiben. Etwas Positives über das Engagement der einzelnen Mitarbeiter hinaus. Über einen ehemaligen Leiter der Leitstelle Harrislee, der meiner Ansicht nach mehr als ein paar Widerstände durchbrechen musste, um das aufzubauen, was da im schönen Schleswig-Holstein steht. Verstehen Sie es als Aufruf, es ihm gleichzutun. Dranzubleiben. Es wird nicht immer gelingen, doch die Mitarbeiter sind die Mühe wert.
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Manuel Barth
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