Verschollene Pflanzenart im Bodensee wiederentdeckt, PI Nr. 108/2025
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Verschollene Pflanzenart im Bodensee wiederentdeckt
Gute Umweltnachrichten sind in diesen Tagen selten. Umso schöner, hier eine berichten zu können: Eine verdrängte Pflanzenart wurde im Bodensee wiederentdeckt. Forschungstaucherin Almut Hanselmann von der Universität Konstanz stieß bei einem Routinetauchgang auf das verschollene Gewächs. Die Rückkehr der Pflanze ist ein gutes Zeichen für den Zustand des Sees.
Gestatten, ihr Name ist Groenlandia densa. Landläufig ist die Wasserpflanze auch unter dem weniger eindrucksvollen Namen „Fischkraut“ bekannt, ebenso als „Dichtlaichkraut“. Sie gehört zur Familie der Laichkrautgewächse und kommt bevorzugt in fließenden Gewässern vor, aber auch in Seen. Eigentlich ist diese Wasserpflanze in Europa keine Seltenheit. Nur aus dem Bodensee war sie verschwunden. Aus historischen Aufzeichnungen wissen wir, dass es sie vor rund 60 Jahren im Bodensee noch gegeben haben muss. Bereits um 1990 war sie dort jedoch nur noch selten aufzufinden, nach 1993 gab es keine Sichtungen mehr. Dabei wird an rund 70 Standorten im See ein regelmäßiges Monitoring des Pflanzenbestands betrieben. Groenlandia densa? Fehlanzeige. Nur am Konstanzer Trichter, am Seerhein, gab es noch vereinzelte Exemplare. Im restlichen See galt die Pflanze hingegen als verdrängt und verschwunden. Forscher*innen vermuten, dass die Wasserverschmutzung, Ammonium- und Phosphorbelastung des Sees ihr den Garaus gemacht haben.
Nun aber wurde die verschollene Pflanze wiederentdeckt. Almut Hanselmann ist eine Postdoktorandin und Forschungstaucherin am Limnologischen Institut der Universität Konstanz. Im Interreg-Projekt „SeeWandel-Klima“ der Europäischen Union untersucht sie regelmäßig den Pflanzenbestand im Bodensee. Als sie im Januar 2025 in der Nähe von Immenstaad hinabtauchte und den Bestand der Laichkräuter in vier Metern Wassertiefe begutachtete, wunderte sie sich, warum der Seegrund mitten im Winter so ungewöhnlich grün war. Ein dichter „Rasen“ bedeckte dort die Sedimente, wo im Winter sonst der kahle Seegrund zu sehen ist. Die Auflösung des Rätsels brachte eine echte Überraschung: Hanselmann stellte fest, dass es sich bei der unverhofften Begrünung um eine zurückgekehrte Pflanzenart handelt. In der Tat, Groenlandia densa ist wintergrün und übersteht auch die kalte Jahreszeit, wenn viele andere Wasserpflanzen verkümmern.
Dabei gibt es seit Jahrzehnten verlässliche Daten zu genau jener Fundstelle, dass die Pflanze dort nicht vorkommt – und auch im übrigen See nicht. Groenlandia densa muss erst kürzlich ihren Weg zurück in den See gefunden haben und breitet sich zwischenzeitlich gut aus: Knapp ein halbes Jahr später, Ende Juni 2025, dokumentierte Haselmann an der Fundstelle ein üppiges Vorkommen der „alten neuen Pflanze“.
Ein gutes Zeichen für den See
„Das Wiederauftauchen der Pflanze ist ein gutes Zeichen für die Rückkehr des Sees in seinen natürlichen Zustand“, schildert Almut Hanselmann. Langjährige Wasserproben und Auswertungen zeigen, dass in den letzten 40 Jahren die Ammonium- und Phosphorbelastung des Sees abgenommen hat. Dies bereitet den Boden dafür, dass sich ursprüngliche Arten wie Groenlandia densa wieder ansiedeln können. Tatsächlich lässt sich für denselben Zeitraum eine zunehmende Begrünung des Seegrunds nachweisen.
„Wasserpflanzen bedeuten immer eine Aufwertung des Ökosystems“, unterstreicht Hanselmann: Die Pflanzen bieten eine Nahrungsgrundlage und einen Lebensraum für zahlreiche Tierarten, von Mikroorganismen über Schnecken bis hin zu Fischen. Sie gewähren Schutz für Fischlarven und ein Rückzugsrefugium für viele Lebewesen unter Wasser. Zudem produzieren sie Sauerstoff für den See und befestigen mit ihren Wurzeln seine Sedimente. „Die Rückkehr der Artenvielfalt ist ein Nachweis für die positiven Veränderungen im Bodensee – und ein deutliches Indiz dafür, dass die Renaturierungsmaßnahmen sich auszahlen“, freut sich Hanselmann.
Aus dem Dornröschenschlaf erwacht
Die Wiederkehr von Groenlandia densa kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Wirklich weg war die Pflanze wohl nie, eher in einer Art langem Dornröschenschlaf. Die Sedimentschichten des Sees enthalten Samen und Dauerstadien von unzähligen Pflanzenarten, so auch diejenigen von Groenlandia densa. Dieses „schlummernde“ keimfähige Material hatte nur nicht die rechten Bedingungen, um sich auszubreiten. „In dem Moment, wenn wieder die richtigen Bedingungen herrschen, können die Samen austreiben, die über Jahrzehnte und teils über Jahrhunderte im Sediment lagerten“, schildert Hanselmann. Bei Groenlandia densa ist anzunehmen, dass genau dies der Fall war.
„Wir können aber auch nicht ausschließen, dass Groenlandia densa über die Zuflüsse des Bodensees neu in den See gelangte, also zum Beispiel über Argen, Rotach oder Schussen. Diese liegen ja auch auf der Seite von Immenstaad, wo wir die Pflanze gefunden haben“, räumt Almut Hanselmann mögliche Alternativen ein. „Eine Ausbreitung über die Zuflüsse könnte die Wiederbesiedelung im Bodensee vorangetrieben oder beschleunigt haben.“ Wie auch immer die Rückkehrerin neu in den See gelangte: Groenlandia densa ist herzlich willkommen. In den kommenden Jahren wird das Forschungsteam ihre Population gut im Auge behalten.
Über das Projekt SeeWandel-Klima
Das Forschungsprojekt „SeeWandel-Klima“ untersucht die Auswirkungen von Klimawandel und invasiven Arten (Neobiota) auf den Bodensee. Forschungsinstitute aus drei Ländern, darunter das Limnologische Institut der Universität Konstanz, arbeiten grenzübergreifend zusammen. SeeWandel-Klima ist ein Leuchtturm-Projekt im Rahmen des Förderprogramms Interreg der Europäischen Union. Die Projektleitung liegt bei der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag).
Hinweis an die Redaktionen:
Fotos stehen zum Download zur Verfügung:
- Probennahme unter Wasser: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/verschollene_pflanzenart_1.jpg https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/verschollene_pflanzenart_2.jpg Bildunterschrift: Forschungstaucherin Almut Hanselmann sammelt Proben am Grund des Bodensees. Copyright: Almut Hanselmann
- Groenlandia densa: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/verschollene_pflanzenart_3.jpg Bildunterschrift: Die im Bodensee wiederentdeckte Pflanzenart Groenlandia densa, fotografiert im Juni 2025. Copyright: Almut Hanselmann
- Almut Hanselmann: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/20verschollene_pflanzenart_4.jpg Bildunterschrift: Forschungstaucherin Almut Hanselmann vom Limnologischen Institut der Universität Konstanz. Copyright: Almut Hanselmann
Kontakt: Universität Konstanz Kommunikation und Marketing E-Mail: kum@uni-konstanz.de
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