SPIEGEL TV-Reportage am Montag, 4. Juli 2005 um 23.00 Uhr
Berlin (ots)
Vorschule des Lebens - Ein Kindergarten im sozialen Brennpunkt
Für viele der 160 hier betreuten Kinder ist die Kindertagesstätte in der Hamburger Hochhaussiedlung Osdorfer Born" eine Art Zweitfamilie, für einige sogar Ersatzfamilie. Auch die Kleinsten verbringen hier bis zu zwölf Stunden am Tag. Von der oft propagierten Frühförderung - z. B. beim Erlernen fremder Sprachen - können die Erzieherinnen hier nur träumen. Unsere Kinder müssen erst mal lernen, deutsch zu sprechen, und wenn sie am Ende des Tages zwei geregelte Mahlzeiten bekommen und ein Bild gemalt haben oder einmal Memory gespielt, dann ist das für die meisten schon viel", sagt Erzieherin Birgit Knolle.
Zu Hause läuft bei vielen Familien nicht mehr viel - bis auf den Fernseher. Wenn beide Eltern berufstätig sind, als Küchenhilfe, Anstreicher, Putzfrau oder Altenpflegerin, dann fehlen abends Kraft und Geduld, sich noch mit den Kindern zu beschäftigen. Oder wenn man so wie Michaela Ehrmann mit vier kleinen Kindern allein erziehend ist. Ohne den Kindergarten wäre ich reif für die Klapse", sagt sie. Der sechsjährige Miguel ist nur unter Vorbehalt auf der Förderschule angenommen worden. Sein Entwicklungsstand entspricht dem eines Dreijährigen. Der zweijährige Florian wird morgens ums sechs gebracht. Nachmittags um 16 Uhr holt ihn seine Großmutter ab, tagsüber schläft er beim Spielen fast regelmäßig ein. Die Brüder Timo und Björn zanken sich ständig, fast immer läuft einer der beiden mit einem blauen Auge herum.
Den Kindern aus unterschiedlichsten Nationen hier einen geregelten Tagesablauf zu bieten und ihre Entwicklung so zu fördern, dass häusliche Defizite aufgefangen werden - eine gewaltige Aufgabe für die 25 Erzieherinnen, zumal in Zeiten knapper Kassen. Fast alle Erzieherinnen arbeiten in Teilzeit und Schichtdienst - unfreiwillig.
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