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Neue Westfälische (Bielefeld)

Neue Westfälische (Bielefeld): BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke:"Für uns ist dieses Finale reiner Lustgewinn"

Bielefeld (ots)

Bielefeld. Borussia Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sieht derzeit "wahrscheinlich nur eine Mannschaft in Europa, die die Bayern schlagen kann": Borussia Dortmund. Im Interview mit der in Bielefeld erscheinenden Neuen Westfälischen (Mittwochausgabe) akzeptiert der 53-Jährige dennoch die Favoritenrolle des Rekordmeisters Bayern München im Champions-League-Finale am Samstag, 20.45 Uhr, im Londoner Wembley-Stadion: "Für uns ist dieses Finale reiner Lustgewinn. Wir haben vor acht Jahren auf einem Trümmerfeld gestanden, und jetzt sind wir im Finale der Champions League, haben zwei Meisterschaften und einen Pokalsieg. Wir haben keinen Druck. Ob wir dann am Ende gewinnen oder verlieren, ist nicht das Entscheidende. Wir müssen nur nach dem Finale sagen: Wir als Borussia Dortmund haben alles aus uns herausgepresst. Es gebietet auch der sportliche Anstand, dass man dann sagt: Okay, der Gegner war besser. Aber ich sehe uns noch nicht gratulieren." Für den Finaltriumph müsste das BVB-Team allerdings "am Limit spielen". Im Unterschied zum Halbfinal-Rückspiel bei Real Madrid, als Watzke die Spannung in der Nachspielzeit nicht aushielt und auf die Toilette flüchtete, will der Borussen-Boss diesmal keine Minute verpassen. Im Vorfeld des deutschen Finales präsentiert sich Watzke jedenfalls entspannter: "Kein Problem. Ich wollte nur in dieses Finale. Das war die Antriebsfeder. Was jetzt noch kommt, ist eine reine Zugabe."

Interview im Wortlaut:

Herr Watzke, wenn man sieht, wie Sie in der vorigen Woche das Audimax der Uni Paderborn im Griff hatten, könnten man meinen: Der macht auch locker drei Stunden "Wetten, dass . . ?". HANS-JOACHIM WATZKE: Ich mache das nicht locker, ich bin einfach so. Das ist ein Stück Routine, grundsätzlich kommuniziere ich aber auch gern mit Leuten. Insofern ist das keine besondere Belastung. Wissen Sie, ich habe zehn Jahre lang während meiner Schul- und Studienzeit im Tiefbau gearbeitet. Das war Belastung. Dagegen ist das heute alles Spaß.

Sie wirken sehr organisiert, klar und sicher. Gibt es auch einen Hans-Joachim Watzke, der morgens aufwacht und sich kneifen muss, um zu wissen, ob dieses BVB-Märchen Realität ist? Und sich dann einfach nur freut? WATZKE: Eher nicht. Mir fehlt so ein bisschen das Genießer-Gen, das wird auch in meinem Freundeskreis und der Familie angemahnt. Dass ich zum Beispiel nach einem Sieg komplett glücklich aufwache, passiert eigentlich nicht. Weil ich erstens in solchen Nächten kaum schlafen kann und zweitens morgens meist schon das nächste Ding vor Augen habe.

Schade eigentlich.

WATZKE: Im Urlaub komme ich manchmal dazu, zu überlegen, was wir für eine Geschichte geschrieben haben zwischen 2005 und jetzt. Aber ich klopfe mir jetzt nicht jeden Tag auf die Schulter. Im Fußball geht es immer weiter.

Im Moment, kurz vor dem Finale, geht wahrscheinlich alles noch ein bisschen schneller weiter. WATZKE: Und wie. Als ich vom Halbfinale aus Madrid zurückgekommen bin - da hab ich bis 6.20 Uhr Musik gehört und dann noch zwei Stunden geschlafen - da hab ich sofort das Thema Finale vor Augen gehabt. Das kann sich ja niemand vorstellen, was für Organisationsfragen sich vor einem Finale stellen. Da kannst du nicht zwei Tage betrunken vor Glück sein.

Geschäftsführer Borussia Dortmund, da würde ich jetzt mal auf so 14 bis 16 Stunden Arbeit am Tag tippen. WATZKE: Die Stunden sind ja nicht das Schlimmste. Das Problem ist, dass ich keinen freien Tag habe. Andere Leute haben auch viel Stress, aber die haben dann meistens zwei Tage Wochenende. Aber das Wochenende ist für uns ja auch wieder Kernarbeitszeit. Das hat natürlich auch was damit zu tun, dass ich bei uns den kompletten Bereich abdecke, von links nach rechts. Vom sportlichen bis zur Organisation. Ich möchte da schon alles mitentscheiden. Letztes Jahr haben wir das DFB-Pokal-Finale in Berlin gespielt, das ist vom Organisationsaufwand her 30 Prozent von dem, was jetzt zu tun ist. Aber es ist ja nicht mehr lange.

Der Hype um das Finale ist enorm, aber wäre es auch so, wenn es nicht ausgerechnet gegen den FC Bayern ginge? Sagen wir mal Real Madrid. Auch eine große Nummer. WATZKE: Es ist was Historisches! Ein Finale mit zwei deutschen Mannschaften hat es ja noch nie gegeben.

Aber daran denkt doch niemand. Es ist Dortmund gegen Bayern. WATZKE: Ich glaube, in Deutschland denken doch viele daran, dass es historisch ist. Für mich persönlich wäre eine Finale gegen Real Madrid oder Barcelona das Gleiche gewesen wie jetzt gegen die Bayern. Aber für die Zuschauer nicht. Die Champions League hat ja mittlerweile eine unfassbare Bedeutung. Das war ja vor zehn Jahren noch nicht so. So einen Hype wie in diesem Jahr habe ich noch nicht erlebt. Egal, wer dabei war.

Sie und besonders Jürgen Klopp haben extrem viel Medienarbeit zu erledigen. Vor dem Real-Spiel sollen Spieler und Verantwortliche 1.500 Interview- Anfragen aus der ganzen Welt gehabt haben. In Zeiten des medialen Overkills kommt es bisweilen zu Spannungen mit unter Druck stehenden Journalisten und Vereinsvertretern, die diese Arbeit vielleicht als lästige Pflicht ansehen. Wie stehen Sie dazu? WATZKE: Das ist kein lästiges Übel, das gehört einfach zu dem Job dazu. Wir brauchen ja auch die Medien, um diese öffentliche Wirkung zu erzielen. Was mir Sorgen macht, sind die Online-Geschichten der Zeitungen, weil das inzwischen oftmals unterschiedliche Redaktionen sind. Beim Thema Online habe ich oft das Gefühl, Schnelligkeit geht vor Genauigkeit. Und da guckt man dann von unserer Seite vielleicht nicht so genau darauf, wer was geschrieben hat, sondern dann bekommt die ganze Organisation was von uns auf die Nuss.

Das Verhältnis zu den Bayern hat mit dem Bekanntwerden des Wechsels von Mario Götze gelinde gesagt etwas gelitten. Beim Bundesliga-Spiel hat es zum Beispiel kein gemeinsames Mittagessen gegeben. Wie hat sich Beziehung entwickelt, auch vor dem Hintergrund der vergangenen Jahre. Wird das eine nachhaltige Geschichte? WATZKE: Das weiß ich nicht, das ist ja alles dynamisch. Ich weiß nur, dass wir vorher ein relatives Vertrauensverhältnis zu den Bayern hatten und jetzt haben wir ein professionelles Verhältnis. Wir haben keine Feindschaft, wir müssen uns auch nicht duellieren, aber es ist eben ein bisschen abgekühlt.

Zuletzt hatte man den Eindruck, dass die Bayern ihren Sportdirektor Matthias Sammer als Speerspitze der Abteilung Attacke positionieren. Sammer war als Spieler und Trainer in Dortmund Meister, jetzt ist wohl auch diese Beziehung erkaltet. WATZKE: Wir haben seit Jahren keine persönlichen Berührungspunkte mehr. Es war schon zu DFB-Zeiten, als er dort Sportdirektor war, nicht so dass wir einen intensiveren Kontakt gehabt hätten. Wir haben uns kurz unterhalten, Smalltalk gemacht. Aber ich glaube nicht, dass es Matthias' Thema ist, jetzt eine offene Konfrontation zu führen.

Aus dem Halbfinal-Rückspiel gegen Real Madrid gibt es diese eine Anekdote: Es steht 2:0 für Real, das dritte Tor hätte das Aus des BVB bedeutet, sie haben es nicht mehr ausgehalten und mussten mal für kleine Jungs . . . WATZKE: Mit kleinen Jungs hatte das weniger zu tun, ich wollte nur das Spiel nicht mehr sehen. Ich bin dann in den VIP-Raum geflüchtet, aber da liefen überall die Fernseher und da konnte ich mich der Drucksituation auch nicht entziehen. Ich hab das in achteinhalb Jahren noch nicht erlebt. Dann bin ich eben auf die Toilette, weil es der einzige Raum war, wo es keinen Bildschirm gab. Da hab ich dann eine geraucht und gehofft, dass der Feueralarm nicht losgeht. Und hab darauf gewartet: Wenn es eine gewaltige Erschütterung gibt, hat Real das dritte Tor gemacht und wenn es keine Erschütterung gibt, geht es irgendwann wieder raus.

Wie wollen Sie denn dann das Finale überstehen? WATZKE: Kein Problem. Ich wollte nur in dieses Finale. Das war die Antriebsfeder. Was jetzt noch kommt, ist eine reine Zugabe.

Nach dem in Summe 7:0 über Barcelona werden die Bayern in die Favoritenrolle geschoben, Fachleute sprechen hingegen immer davon, dass die sogenannte Tagesform entscheiden wird. Also alles offen ist. WATZKE: Vor dem Hintergrund der Bundesliga-Saison, die die Bayern gespielt haben - die war ja außergewöhnlich - sind sie natürlich Favorit. Gar keine Frage. Jetzt kommt das "Nur": Wahrscheinlich gibt es aktuell in Europa nur eine Mannschaft, die die Bayern schlagen kann. Und das ist Borussia Dortmund. Die Einschränkung: Wenn alle am Limit spielen. Dann sind wir wahrscheinlich der einzige Klub. So stark ist Bayern München.

Das ist für Sie und Dortmund doch eine herausragende Situation. WATZKE: Für uns ist dieses Finale reiner Lustgewinn. Wir haben vor acht Jahren auf einem Trümmerfeld gestanden, und jetzt sind wir im Finale der Champions League, haben zwei Meisterschaften und einen Pokalsieg. Wir haben keinen Druck. Ob wir dann am Ende gewinnen oder verlieren, ist nicht das Entscheidende. Wir müssen nur nach dem Finale sagen: Wir als Borussia Dortmund haben alles aus uns herausgepresst. Es gebietet auch der sportliche Anstand, dass man dann sagt: Okay, der Gegner war besser. Aber ich sehe uns noch nicht gratulieren.

Ein Final-Thema ist auch Mario Götze, der nach dem Spiel zu den Bayern wechselt. Für festgeschriebene 37 Millionen Euro. Wenn am 1. Juli eine Überweisung kommt, Absender FC Bayern München, haben Sie dann bei dieser Summe noch einen Impuls? Oder verbuchen Sie das nur? WATZKE: Die Überweisung wird etwas höher sein. Das ist ja plus Mehrwertsteuer. Aber das interessiert mich nur am Rande. Geld ist da für mich keine wirklich greifbare Größe. Ob wir an diesem Tag dieses Geld auf dem Konto haben und am anderen jenes, ist nicht so wichtig. Entscheidend für mich ist, dass wir alle operativen Entscheidungen bezahlen können. Das konnten wir vorher und das können wir danach. Mehr ist es nicht.

Cool.

WATZKE: Die größte Überweisung, die ich mal gemacht habe, waren 80 Millionen. Das war die Rückzahlung des Darlehens für unseren Stadionkauf. Das war eine andere Nummer.

Um Millionen geht es wohl auch im Fall Uli Hoeneß, dem Präsidenten des FC Bayern. Seine Steuerhinterziehung ist ja nun zugegeben. WATZKE: Ich habe von Anfang an gesagt: Was dieses Thema angeht, wird von mir öffentlich nichts bewertet. Ich habe eine private Meinung, aber die bleibt privat.

Hat das etwas mit Wertschätzung zu tun? WATZKE: Das ist Kollegialität, so wie wir sie unter Kollegen in der Bundesliga zu pflegen gedenken. Beim BVB gibt es offenbar keine Nebenkriegsschauplätze. Abgesehen vom Verhältnis zu den Bayern scheint alles perfekt. Ist das so? WATZKE: Natürlich haben wir auch ein kritisches Miteinander in der montäglichen Besprechung mit meinen Direktoren. Da analysieren wir schon selbstkritisch. Die wirklich praktische Anwendung ist aber schwer zu erklären, denn so viel Blödsinn haben wir in den letzten Jahren nicht gemacht. Natürlich sind uns Dinge operativ danebengegangen. Zum Beispiel, dass wir vor dem Spiel gegen Real Madrid den freien Verkauf zugelassen haben. Das war eine Fehlentscheidung, weil wir die Sicherheit der Leute nicht mehr gewährleisten konnten - weil das Ganze von kriminellen Milieus unterwandert wurde. Daraus haben wir abgeleitet, dass wir so etwas nicht mehr machen.

Ihre größte Fehlentscheidung seit Sie diesen Job haben? WATZKE: Vielleicht hätten wir, oder in letzter Konsequenz ich, die Entlassung von Trainer Bert van Marwijk im Winter 2006 erst im Sommer 2007 vollziehen sollen. Das war sicherlich im Nachhinein ein Fehler. In der Sache komplett richtig, der Zeitpunkt war falsch.

Ich habe das so empfunden, dass Bert van Marwijk viel zu der sportlichen Konsolidierung beigetragen hat . . . WATZKE: Das ist Ihre Meinung, nicht meine.

Immerhin hat er gut mit den verbliebenen Spielern gearbeitet. WATZKE: Das hätte jeder andere Trainer auch getan. Ein Trainer muss nun einmal mit seinen Spielern arbeiten. Aber heute würden wir es vermeiden, einen Trainer in der laufenden Saison zu wechseln.

Ihre wichtigste richtige Entscheidung hat möglicherweise auch etwas mit einem Trainer zu tun. WATZKE: Da gibt es zwei Entscheidungen. Erstens an Michael Zorc als Sportdirektor festzuhalten, der sehr stark in der Kritik stand, als ich kam. Und zweitens mit Michael Zorc gemeinsam die Entscheidung zu treffen, Jürgen Klopp zu holen.

Was denken Sie über Meldungen, dass Jürgen Klopp besonders von englischen Klubs heiß umworben wird? WATZKE: Das tun sie ja, sie jagen ihn ja. Aber ich glaube nicht, dass das erfolgreich sein wird. Jürgen Klopp ist nicht nur ein Trainer im klassischen Sinne, sondern er ist vor allen Dingen mein Freund. Und ich habe nicht den Eindruck, dass er so etwas vor 2016 machen würde.

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