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Neue Westfälische: Neue Westfälische Bielefeld: Polnische Tragödie Gegen die Angst CARSTEN HEIL

Bielefeld (ots)

Es ist ja richtig: Polens Präsident Lech
Kaczynski war im Westen nicht beliebt. Zu sehr, so schien es 
diesseits von Oder und Neiße, spielte er die nationalistische Karte, 
zu undiplomatisch kam er daher und zu starrköpfig saß er bei 
nächtlichen Verhandlungen im Kreise seiner EU-Kollegen, pochte auf 
Vorteile für sein Polen, zu konservativ war seine Politik 
Minderheiten wie Schwulen gegenüber. Viele Deutsche, besonders die 
Heimatvertriebenen, hatten darüber hinaus ihre eigenen Probleme mit 
den Zwillingen aus Warschau. Denn ohne seinen Zwillingsbruder 
Jaroslaw ist der nun in Smolensk tödlich verunglückte Lech nicht zu 
verstehen. Dabei galt Jaroslaw immer als der schärfere von beiden, 
einigen sogar als Hetzer.
Doch im Westen machten sich viele erst gar nicht die Mühe, die 
Kaczynski-Brüder zu verstehen. Dass vor allem Lech ein Mitbegründer 
der Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc war und enger Berater von deren
Galionsfigur Lech Walesa, ist vielen Kritikern gar nicht bewusst. Er 
war es auch, der die rechten, noch radikaleren Polen in die Mitte 
geholt und Konflikte entschärft hat. In die Regierungszeit der 
Zwillinge fiel dann auch ein Stück Liberalisierung. Was freilich 
nicht so schnell voranging, wie man das in Deutschland gern gesehen 
hätte. Dass Lech Kaczynski Polen immer aus dem eigenen Verständnis 
und dem Selbstverständnis seiner Landsleute heraus vertreten hat, 
hätte man ihm schon zu Lebzeiten nicht zum Vorwurf machen dürfen. 
Jetzt im Tode schon gar nicht mehr.
Unabhängig davon, was wirklich die Ursache des Absturzes war - schon 
schießen von Angst genährte Spekulationen ins Kraut, bis hin zu 
Anschlagstheorien - kann das schreckliche Unglück dazu führen, dass 
sich Westeuropa endlich ernsthaft mit den Polen und ihrer Geschichte 
auseinandersetzt. Dann hätte die Katastrophe von Smolensk wenigstens 
noch den Keim eines Nutzens in sich. Denn die Historie macht das 
Geschehen vom Samstag zusätzlich tragisch.
Ausgerechnet auf dem Weg nach Katyn, ausgerechnet zu einem 
Annäherungstreffen mit den Russen, die ihre Beteiligung an dem 
Massaker an tausenden Angehörigen der polnischen Elite in Katyn im 
Jahr 1940 lange abstritten, sind erneut Teile der Führung Polens 
umgekommen. Neben Präsident Kaczynski starben Spitzenleute aus 
Politik, Wirtschaft und Militär des Landes.
Polen versteht sich von je her als Land zwischen den Mühlsteinen, 
wiederholt zerrieben, geteilt, gedemütigt von Deutschland und 
Russland. Und immer traf das Leid die Elite besonders heftig. Deshalb
ist der Begriff "Ironie der Geschichte" zu schwach, um das Empfinden 
unserer polnischen Nachbarn dieser Tage zu beschreiben. Es ist ein 
neu erlebtes Trauma. Eine alte Wunde ist neu aufgerissen.
Polens Nachbarn sollten nun an seiner Seite stehen. Sie sollten den 
Polen zeigen, dass es im Europa des 21. Jahrhunderts keine Angst vor 
äußeren Feinden mehr geben muss. Für viele Europäer längst eine 
Selbstverständlichkeit, die Polen scheinen jedoch aufgrund ihrer 
Geschichte immer noch in dieser Angst gefangen.

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