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Landeszeitung Lüneburg: Wenn Moral hinter Staatsräson verblasst - Interview mit dem Historiker Dr. Peter Hammerschmidt über die Rekrutierung Klaus Barbies durch westliche Geheimdienste

Lüneburg (ots)

Er folterte Priester und Résistance-Mitglieder bis zum Tode, zwang Frauen zum Sex mit Hunden und schickte die Kinder von Izieu ins Gas: Klaus Barbie, "der Schlächter von Lyon". Dennoch setzten ihn später die USA und die Bundesrepublik auf ihre Lohnliste, wie der junge Historiker Dr. Peter Hammerschmidt durch hartnäckige Archivrecherchen herausfand: Barbie arbeitete in Bolivien als Agent für den amerikanischen Geheimdienst CIC und den deutschen Bundesnachrichtendienst, handelte in einem Kreis von Altnazis für den BND mit Waffen. Dr. Hammerschmidt: "Auch vor dem Hintergrund aktueller Kritik an Geheimdiensten für ihre Re-krutierungspraxis von Informanten bleibt der Fall Barbie ein erschreckendes Lehrstück."

Sie sind der erste Historiker überhaupt, der Einblick in Akten des Geheimdienstes BND erhielt. Wie überwanden Sie die Widerstände, um die Rolle des Schlächters von Lyon in der BRD neu auszuleuchten?

Dr. Peter Hammerschmidt: Da spielten mehrere Faktoren zusammen: Sicherlich Ehrgeiz und Bissigkeit, aber auch die Naivität des 24-jährigen Studenten, der ich damals war. So hoffte ich, dass die von mir aus US-Archiven zusammengetragenen Indizien, die eine Agententätigkeit Barbies für den BND nahelegten, den Dienst dazu bewegen würden, sein Archiv zu öffnen und mir die Akte des NS-Kriegsverbrechers zur wissenschaftlichen Auswertung vorzulegen. Auf meine Anfrage bekam ich immerhin eine Absage. Gründe waren seinerzeit die zu schützenden Persönlichkeitsrechte Dritter, ebenso wie internationale Beziehungen, die man bei einer Aktenöffnung gefährdet sah. Ich wandte mich also an die vorgesetzte Stelle des BND, das Bundeskanzleramt. Spannenderweise gab das Kanzleramt die Angelegenheit mit Bitte um Prüfung nach Pullach zurück, wo mir dann letztlich unter Aufsicht die Archive geöffnet wurden. Was ich damals nicht wusste: Im Hintergrund war zu diesem Zeitpunkt bereits die Entscheidung gefallen, die Geschichte des BND und seiner Vorgängerorganisation von einer Unabhängigen Historikerkommission aufarbeiten zu lassen. Die Weigerung zur Herausgabe historisch relevanter Akten stand folglich in krassem Widerspruch zu dem wenige Wochen später proklamierten Willen, die Historie des Dienstes mit größtmöglicher Transparenz aufzuarbeiten. Mittlerweile - so zeigen die Recherchen und die damit verbundenen Aktenöffnungen seitens des BND - hat dieser Wille zu einem transparenten Aufarbeiten klare Konturen bekommen. Verfassungsschutz und BND behandelten ihre Akten Klaus Barbie lange als Verschlusssache. Nur Ausdruck eines antiquierten Verständnisses hoheitlicher Rechte oder eher schlechtes Geheimdienstlergewissen?

Dr. Hammerschmidt: Sowohl der "Fall Barbie" selbst als auch das zögerliche Agieren von BND und Verfassungsschutz in Bezug auf die Freigabe historisch relevanter Akten zeigen, dass den Diensten die transparente Untersuchung personeller NS-Kontinuitäten noch bis vor wenigen Jahren fremd war. Der Wille zu einer Auseinandersetzung mit der eigenen Historie ist bei den Nachrichtendiensten vergleichsweise spät eingetreten. Ich kann es aus heutiger Perspektive und mit Abstand von fast fünfzig Jahren jedoch nicht nachvollziehen und auch nicht akzeptieren, wenn der BND unter Verweis auf Persönlichkeitsrechte Dritter oder zum Schutze operativer Praktiken Akten zurückhält, die über personelle Kontinuitätslinien zwischen Heydrichs Terrorapparat und der Frühphase der Organisation Gehlen Auskunft geben.

Es wäre wohl auch bizarr, wenn heute noch dieselben operativen Prämissen gelten würden wie damals. . .

Dr. Hammerschmidt: . . .Eben. So wird in den Akten auch der Gebrauch von Geheimtinte erwähnt, von der man vermutlich wohl mittlerweile abgerückt ist (lacht) - zumal sie sich wohl auch schon damals nicht als sehr praktikabel erwiesen hat.

Sie haben aufgedeckt, dass Barbie nicht nur Helfer hatte, die ihm die Flucht auf der "Rattenlinie" ermöglichten, sondern Teil eines Altnazi-Netzwerkes in Südamerika war und für den BND mit Waffen handelte. Hätten Sie sich eine Weiterverwendung dieses Ausmaßes von NS-Tätern nach 1945 vorstellen können?

Dr. Hammerschmidt: Nein, das konnte ich mir nicht vorstellen. Es gab zunächst nur vage Indizien, dass Barbie für den BND tätig gewesen sein könnte. Naheliegend - und dies wurde durch das Aktenmaterial aus Pullach bestätigt - war Barbies Tätigkeit im Bereich der politischen Informationsbeschaffung. Barbies Funktion im Bereich des durch den BND abgedeckten Waffenhandels konnte erstmals auf Grundlage der BND-Akten rekonstruiert werden. Das Ausmaß ist in der Tat erschreckend: So instrumentalisierte der Dienst in Lateinamerika ein Netzwerk ehemaliger NS-Funktionsträger, das auf Grundlage ihrer Tätigkeit im Waffenhandel wiederum näher zusammenrückte.

Wer gehörte mit zu dem Kreis und welche Rolle spielte das BND-Unternehmen MEREX bei der Stabilisierung lateinamerikanischer Diktaturen?

Dr. Hammerschmidt: Das Bonner Waffen-Export-Unternehmen MEREX wurde von Gerhard Mertins geleitet, der seit 1956 unter dem Code-Namen "Uranus" für den BND als Sonderverbindung auf dem Gebiet der Aufklärung politisch motivierter Waffentransfers tätig war. Letztlich blieb es nicht bei der bloßen Informationsbeschaffung. Auf Anordnung des Bundesverteidigungsministeriums und abgedeckt durch den BND verkaufte die MEREX Mitte der 1960er-Jahre überschüssiges Waffenmaterial aus Bundeswehrbeständen. - u.a. auch - und dies war offiziell verboten - in Spannungsgebiete wie den Nahen Osten oder Lateinamerika. Spätestens seit der Kuba-Krise war die Bundesregierung darum bemüht, den politischen Einfluss auch in den politisch äußerst instabilen Staaten Lateinamerikas zu festigen. Waffentransfers fungierten als geeignetes Mittel. Und so reisten "Tipper" des BND in den sechziger Jahren nach Lateinamerika, um fähige, vor allem aber antikommunistische Quellen zu rekrutieren, die für eine Tätigkeit im Bereich des Waffenhandels in Frage kämen. Im Ergebnis vertrat nur wenige Monate später Hans-Ulrich Rudel die Interessen der MEREX in Paraguay, der höchstdekorierte Schlachtenflieger im Zweiten Weltkrieg und spätere Neonazi-Ikone. Rudel vermittelte den Kontakt zu den alten Kämpfern, so zu "Klaus Altmann" - Barbies Deckname - in La Paz. Er wurde MEREX-Repräsentant in Bolivien. Hinzu kam Friedrich Schwend in Lima, Peru. Schwend war im Reichssicherheitshauptamt für die "Operation Bernhard" verantwortlich gewesen - die Fälschung britischer Pfundnoten mithilfe versklavter Juden im KZ Sachsenhausen. In Ecuador verschoben zeitweise die Sassen-Brüder Waffen für den BND. Wilhelm Sassen hatte jahrelang den Holocaust-Organisator Adolf Eichmann geschützt.

Barbie bildete in Bolivien Regimeschergen im Foltern aus. Übertrug er nur seinen antikommunistischen Krieg auf sein neues Heimatland oder träumte er von einem Vierten Reich?

Dr. Hammerschmidt: In den 70er-Jahren, unter der Militärdiktatur von Hugo Banzer, der Barbie bereitwillig vor Frankreichs Auslieferungsbemühungen schützte, war Barbie gerne bereit, sein NS-Repressionswissen weiterzugeben und damit den Kampf gegen die innenpolitische Opposition zu unterstützen. Später, nach dem Kokain-Putsch von Luis Garcia Meza Tejada wird in Barbies Memoiren, die ich erstmals auswerten konnte, doch deutlich, dass sich sein Selbstverständnis wandelte. Im Gespräch mit dem ehemaligen Stern-Reporter Gerd Heidemann beschrieb er bereits 1979 sehr ausführlich seine Vision eines kommenden "Vierten Reichs" und ergänzte, dass der Samen, der er zusammen mit seinen SS-Kameraden in Lateinamerika gesät hatte, dort auf fruchtbaren Boden gefallen sei. Er erwartete eine Revolution nach nationalsozialistischem Vorbild, die zwar von Bolivien ausgehen würde, aber durch die Unterstützung auch argentinischer Militärs ganz Südamerika erfassen sollte.

Im Kalten Krieg griff der Westen allzu bereitwillig auf die ehemalige NS-Elite zurück. Ist die Spitzeltätigkeit von Barbie für den BND nur die Spitze des Eisbergs?

Dr. Hammerschmidt: Barbie ist sicher einer der prominentesten Fälle, aber sicher nicht der einzige. So arbeitete Walther Rauff, der Erfinder der mobilen Gaswagen, in Lateinamerika von 1962 bis 1965 für den BND. Es gab keine Skrupel, Leute mit derartigen Biographien zu re-krutieren. Nationale Sicherheitsinteressen gaben letztlich den Ausschlag, dass moralische Bedenken hinter operativen Erfordernissen verblassten. Und so hieß es letztlich auch über Barbie: "die Tatsache, dass er SS-Hauptsturmführer war, schließt nicht aus, ihn als Quelle zu verwenden." Insofern konterkarierte die Rekrutierungspraxis des BND die normative Distanzierung gegenüber NS-Verbrechen, die sich im Zuge der aktiven Vergangenheitsbewältigung zu diesem Zeitpunkt bereits herausgebildet hatte.

Sind die Kontinuitätslinien zwischen Heydrichs Unterdrückungsapparat und den Geheimdiensten der jungen Demokratie BRD stärker als vermutet?

Dr. Hammerschmidt: Der Einzelfall Barbie kann die Frage noch nicht beantworten, inwieweit die personellen Kontinuitätslinien zwischen dem Reichssicherhauptsamt und der Organisation Gehlen und dann später dem BND auf die operative Praxis dieser Dienste wirkte. Insofern kann auch erst auf Grundlage eines größeren Personaltableaus geklärt werden, inwieweit die ideologische Gesinnung hauptamtlicher Mitarbeiter das Profil und die operative Ausrichtung des BND prägten und inwieweit diese Prägung den Wortlaut der von Pullach nach Bonn abgesetzten Lageeinschätzungen mitbestimmte.

Inwieweit ist Klaus Barbie typisch für die Funktionäre der Unterdrückung im Nationalsozialismus - Hauptsache loyal und linientreu?

Dr. Hammerschmidt: Barbie hat in späteren Interviews immer wieder darauf hingewiesen, es sei nicht wichtig für was man kämpfe, sondern die Linientreue. Dann würde man auch unbefleckt aus dem Krieg hervorgehen.

...also das Denken wie in Himmlers Posener Geheimrede...

Dr. Hammerschmidt: Ganz genau. Den Sauberkeits- und Anständigkeitsdenken hat Barbie verkörpert. Diese Vorstellung diente ihm später als Basis, um seine de facto verbrecherischen Taten zu legitimieren.

In Washington wurde der Kalte Krieg als "Spiel ohne Regeln" angesehen. Mussten sich Altnazis hier nicht perfekt aufgehoben fühlen, die zuvor von Himmler und Hitler außerhalb des Rechtes und der Menschlichkeit gestellt worden waren?

Dr. Hammerschmidt: Das unterstreichen mehrere CIC-Unterlagen, wenn es etwa in der Antwort auf die Anfrage an das Hauptquartier, wie wir denn mit einem Mann zusammenarbeiten könnten, der wegen Kriegsverbrechen gesucht werde, ganz simpel heißt, der Feind meines Feindes ist mein Freund. Insofern heiligten nationale Sicherheitsinteressen diese überaus fragwürdige Rekrutierungspolitik. Die Moralität der Dienste verblasste damit vor dem Hintergrund nationaler Sicherheitsinteressen. Retrospektiv betrachtet muss es folglich die Aufgabe von Geheimdiensten sein, die eigene Rekrutierungspraxis kritisch zu überprüfen. - und zwar hinsichtlich der moralischen Ansprüche eines im freiheitlich-demokratischen Kontext agierenden Dienstes. Nur so entgehen diese Dienste der Gefahr, selbst zur Gefährdung nationaler Interessen zu werden.

Das Interview führte

Joachim Zießler

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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