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Landeszeitung Lüneburg: "Schuld kann nicht relativiert werden" - Interview mit der Historikerin Dr. Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf und Unmbenennungen von Straßen

Lüneburg (ots)

Die Diskussion über Straßennamen weitet sich aus. Immer mehr Städte überprüfen damalige Entscheidungen. Prominentestes Beispiel ist der Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platz vor dem niedersächsichen Landtag, der aufgrund der nun in den Fokus gerückten Rolle, die der erste Ministerpräsident Niedersachsens im der Zeit der Nazi-Herrschaft gespielt hat, umbenannt werden soll. Moralisch-etische Gesichtspunkte prägen die Debatten. Einigkeit besteht darüber, dass Schuld nicht relativiert werden kann, Streit über die Umbenennung von Straßen. "Damit sollte man sehr vorsichtig sein", sagt Dr. Teresa Nentwig im Gespräch mit unserer Zeitung. Denn "wir müssen uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen". Sie rät daher zu Zusatzschildern.

Dr. Nentwig, verspüren Sie Zufriedenheit über die Debatte über Standards für die Benennung von Straßen, Plätzen und Gebäuden, die Sie mit ihren Nachforschungen über Hinrich Wilhelm Kopf ausgelöst haben? Dr. Teresa Nentwig: Zufriedenheit ist das falsche Wort. Ich bin aber froh darüber, dass endlich die Debatte über Hinrich Wilhelm Kopf geführt wird. Denn ein Teil der Vorwürfe gegen ihn ist schon lange vor meiner Arbeit bekannt gewesen, nur hat dies nie zu größeren Diskussion geführt.

Die vom Landtag eingesetzte Historiker-Kommission hatte sich für die Beibehaltung der Benennung des Platzes vor dem Landtag nach Hinrich Wilhelm Kopf ausgesprochen und argumentiert, Kopf habe Niedersachsen auf einen demokratischen Weg geführt, dies sei "tätige Reue". Was halten Sie von dieser Einschätzung? Nentwig: Unbestritten ist, dass Kopf den demokratischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau in Niedersachen vorangetrieben hat...

...und bei der Verfassung...

Nentwig: Richtig, die Verfassung geht sogar auf seinen Entwurf zurück. Andererseits kann man auch sagen, dass er sich zuvor in den Dienst des Nazi-Regimes gestellt hat. Und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er gebraucht und umworben. Er ist bei den Menschen als Landesvater gut angekommen. Aber ob das als tätige Reue bezeichnet werden kann, ist zweifelhaft, Denn Kopf hat über seine Tätigkeit für die Nazis immer wieder gelogen. Er war opportunistisch, hat sich angepasst, konnte quasi unter jedem Regime arbeiten.

Warum ist er denn 1943 aus dem Dienst in der Verwaltung im eingegliederten Polen, wo er bei der Arisierung, bei der Enteignung von Juden mitgeholfen hat, ausgeschieden? Nentwig: Er ist sogar schon 1942 ausgeschieden. Kopf hatte zwei leitende Tätigkeiten in Oberschlesien. Die eine beendete er Mitte 1942, die andere Ende 1942. Im ersten Fall wurde damals seine Dienststelle verlegt in einen rund 80 Kilometer entfernten Ort. Genaue Gründe für sein Ausscheiden konnte ich nicht finden, dafür aber viele Hinweise auf Streitereien. Kopf kämpfte um jeden Pfennig, war nicht einverstanden mit dem, was er verdient hat. Dabei ging es auch um Kosten für Autorreparaturen und sogar um Kilometergeld. Einige Streitereien gingen sogar vor Gericht. Andererseits konnte Kopf in der Verwaltung die besten Zahlen vorweisen. Kopf war offenbar ein eher unbequemer Zeitgenosse. Ich kann mir vorstellen, dass einige Kollegen froh über sein Ausscheiden waren.

Kann es überhaupt eine Relativierung von Schuld im Sinne einer Wiedergutmachung geben? Nentwig: Nein, eine Relativierung kann es im Prinzip nicht geben. Aber wichtig ist, wie man mit seiner eigenen Geschichte umgeht. Viele Biografien haben Brüche, haben Widersprüche. Gerade in der Nachkriegszeit haben viele Menschen ihre Biografien konstruiert, haben über das, was sie während der Nazi-Herrschaft getan haben, geschwiegen und gelogen. Es fand eine Art Identitätskonstruktion statt. Auch Kopf war ein fehlbarer Mensch, hat Schuld auf sich geladen, für die er nicht zur Verantwortung gezogen wurde. Dies lässt sich auch durch seine Verdienste nach dem Krieg nicht einfach relativieren.

Wer einmal Schuld auf sich geladen hat, dem vergibt man nicht. Vergeben Sie Günther Grass? Nentwig: Grass hat spät zugegeben, Mitglied der Waffen-SS gewesen zu sein. Aber über das, was Grass damals während der Nazi-Herrschaft getan hat, weiß ich zu wenig, um mir ein abschließendes Urteil bilden zu können.

Werden all diese Diskussionen auch geführt, weil es einen gesellschaftlichen Mentalitätswandel gibt - weg von der Heroisierung, hin zu einer Gesamtsicht, die sich auch an Opfern orientiert? Nentwig: Man kann auf jeden Fall feststellen, dass solche Diskussionen stark zugenommen haben. In vielen Städten wird über Straßenumbenennungen diskutiert, weil Forschungen ergeben haben, dass einige Namenspatrone doch nicht so unfehlbar waren. Mehrere Faktoren tragen dazu bei: Die Menschen die den Krieg erlebt haben, sterben weg. Die Nachfolgegeneration spricht dadurch offener über die Vergangenheit, es gibt eine kritischere Auseinandersetzung. Hinzu kommt, dass der Zugang zu den Archiven heute wesentlich einfacher und umfassender ist als früher, weil bei immer mehr Akten die Sperrfrist - in der Regel 30 Jahre - abgelaufen ist. Und auch der Zugang zu Akten in Osteuropa ist natürlich viel einfacher geworden als noch vor der Zeit der Wende. Ich hatte keine Probleme, auch in Polen Akten in Archiven einsehen zu können.

Der Geschichtswissenschaftler Martin Sabrow spricht von "historischem Exorzismus" und hält Umbenennungen von Straßen für überzogen. Überzieht Sabrow Ihrer Meinung nach? Nentwig: Martin Sabrow hat das sehr überspitzt, mit drastischen Worten dargestellt. Ich habe mich ausführlich mit dem Thema Straßenumbenennungen befasst und komme zu dem Schluss, dass man wirklich vorsichtig damit sein sollte. Sabrow wählt zwar starke Begriffe, ich kann ihm aber am Ende zustimmen.

Gilt das auch für die Umbenennung des Hinrich-Wilhelm-Kopf-Platzes vor dem Landtag? Nentwig: Ja, auch hier hatte ich gesagt, dass man vorsichtig sein sollte. Hinrich Wilhelm Kopf ist schon jetzt kaum noch jemandem ein Begriff. Obwohl ich Niedersächsin bin, fiel in meiner Schulzeit der Name Kopf nie, erst im Studium erfuhr ich etwas über seine Rolle in der Nachkriegszeit. Fest steht: wir haben eine sehr wechselvolle Geschichte. Eine Geschichte, die man nicht einfach entsorgen kann. Wir müssen uns mit unserer Geschichte auseinandersetzen. Dazu gehört es, auch die schweren Zeiten im Bewusstsein wach zu halten. Es gibt Berichte darüber, dass Kopf vielen Menschen geholfen haben soll. Sowohl in den Jahren 1933 bis 1939 als auch in seiner Zeit in Schlesien von 1939 bis 1942. Sowohl Juden als auch Geistliche sagen, dass er sich schützend vor sie gestellt habe. Das relativiert zwar nicht seine Schuld, man sollte es aber nicht ausblenden.

Sollte es nicht ganz einfach sein: Die Benennung einer Straße oder eines Gebäudes nach einer Person ist eindeutig positiv. Ist aber die Vita der Person, nach der die Straße benannt wurde, nicht eindeutig positiv, sollte man darauf verzichten. Nentwig: Ich bin dafür, Zusatzschilder anzubringen. So behält man ohne Schönfärberei die Person und dessen Geschichte in Erinnerung. Man kann aus diesem Ort einen Ort der Mahnung, der Erinnerung machen.

Das Interview führte

Werner Kolbe

Pressekontakt:

Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe@landeszeitung.de

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