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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zum Tsipras-Besuch in Berlin

Regensburg (ots)

Deutschland dürfe nicht die Rolle des Mannes spielen, der, kürzlich zu Geld gekommen, auf die Taler in seiner Tasche pocht und jedermann anrempelt, meinte Otto von Bismarck am Ende seines bewegten Lebens. Dem "eisernen Kanzler" schwante lange vor dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, zu welchen Verwerfungen und Kriegen es kommen könnte, wenn Deutschland seine Rolle als Mittelmacht in Europa nicht klug und beherrscht ausübt. Heute Abend besucht der umstrittene linke Ministerpräsident Griechenlands, Alexis Tsipras, die wohl mächtigste Politikerin Europas im Berliner Kanzleramt. Trotz militärischer Ehren, die dem Gast zuteil werden, wird es ein Gipfel ohne Krawatte, vor allem aber ohne feste Tagesordnung, ohne bereits ausgehandeltes Kommuniqué, das hinterher verteilt wird. Es wird auch weniger um konkrete Lösungen für Griechenlands dramatisches Schulden- und Reformproblem gehen, sondern eher um die Entkrampfung des arg strapazierten deutsch-griechischen Verhältnisses. Dass Merkel die Erwartungen an das Treffen im Vorfeld kräftig nach unten schraubte, hat auch damit zu tun, dass sie ihre Rolle innerhalb der Euro-Gemeinschaft klug, besonnen und erfolgsorientiert auszuüben gedenkt. Gerade weil zuletzt auch brisante historische Fragen wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurden, etwa die von Reparationen für deutsche Gräueltaten oder Zwangskredite der Hitler-Regierung, sind Verständnis und Vertrauen für den jeweils anderen so eminent wichtig. Zwar hat Angela Merkel den Chef der Syriza-Bewegung seit dessen Wahlsieg Ende Januar bereits häufiger getroffen. Noch öfter haben die beiden miteinander telefoniert. Doch zu einem förmlichen Besuch in Berlin oder Athen hatte es noch nicht gereicht. Nun wolle man ohne Zeitbegrenzung miteinander sprechen, vielleicht sogar diskutieren, meinte Merkel. Mit dieser unerwarteten Bemerkung vom Donnerstag wollte sie offenbar klar machen, dass sie den Linken aus Athen als wirklichen Partner betrachtet und nicht als Paria, den man möglichst bald aus dem Euro-Club werfen müsse. Griechenland muss nicht nur aus finanz- und europapolitischen, sondern auch aus geostrategischen Gründen in der Währungsunion verbleiben. Zwischen den Finanzministern jedoch, dem erfahrenen Wolfgang Schäuble hier und seinem Athener Kollegen, dem dozierend-sprunghaften Gianis Varoufakis, dort, scheint das Tischtuch längst zerschnitten. Beide duellieren sich, mehr oder weniger offen, mit Worten und strafen sich ansonsten mit Verachtung und Misstrauen. Dass Varoufakis die EU-Ministerkollegen mit professoralen Vorträgen langweilt, aber ansonsten nur wolkige Absichtserklärungen über Reformen von sich gibt, ist ein wirkliches Ärgernis. Die "Institutionen", die frühere Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission, wurden von Athen derweil quasi kalt gestellt. An aktuelle Zahlen lässt sie die neue Regierung nicht heran. Das ist ein Affront, der alles nur noch schlimmer machen könnte. Dabei hatte man sich Ende Februar in Brüssel darauf verständigt, dass der Grundsatz weiterhin gilt: Weitere Hilfskredite gibt es nur gegen Reformen. Entgegen der flotten Bemerkung von Varoufakis, sein Land habe allenfalls nur ein kleines Liquiditätsproblem, scheint Griechenland bereits Anfang April das Geld für öffentliche Aufgaben auszugehen. Die Eile, die nun geboten scheint, damit Hellas nicht vollends im Pleitechaos versinkt, darf von Tsipras allerdings nicht als Druckmittel dafür benutzt werden, dass die Partner nicht mehr auf die Verwirklichung grundlegender Reformen pochen dürfen. Merkel und Tsipras sollten heute alles dafür tun, dass zwischen Berlin und Athen wieder Vertrauen entstehen kann. Und das ist schwer genug.

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