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Mittelbayerische Zeitung: Skandalöser Masochismus
Die Putin-Versteher ignorieren die Freiheit unserer so lange unterjochten Nachbarvölker. Leitartikel von Ulrich Krökel

Regensburg (ots)

Altkanzler Helmut Schmidt findet das russische Vorgehen in der Krim-Krise "verständlich". Er spricht damit nicht nur der übergroßen Mehrheit der Russen aus der Seele, die nach neuesten Umfragen stolz auf Kremlchef Wladimir Putin und die Annexion der Krim sind. Auch viele Deutsche zeigen in diesen Tagen mit dem Finger lieber auf die USA, die Nato und die EU als auf Putin. Schmidt tut das auch, wenn er sagt: "Das Völkerrecht ist viele Male gebrochen worden." Das ist wahr, macht aber die altkluge (nicht altersweise!) Beurteilung nicht richtiger. Richtig ist, dass Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion am Boden lag. Boris Jelzin war nicht in der Lage, das Chaos zu bändigen. Bei den leidenden Menschen brachte die Jelzin-Anarchie zugleich die Demokratie in Verruf. Erst Putin gelang es zu Beginn des neuen Jahrtausends, ein Mindestmaß an Ordnung wiederherzustellen. Dafür gebührt ihm Anerkennung. Putin setzte auf die "gelenkte Demokratie". Das war für eine begrenzte Zeit legitim. Als das Chaos überwunden war, hatte Putin jedoch alle Macht, seinem Land und den Menschen echte Freiheit, Gleichheit und Demokratie zu bescheren. Er tat es nicht. Er bevorzugte die Vertikale der Macht, eine autokratische Herrschaft von oben nach unten, die inzwischen in eine offene Diktatur gemündet ist. Putin entfesselte einen brutalen Krieg in Tschetschenien, um seine Macht zu festigen. Heute, in diesen Tagen nach dem inszenierten und manipulierten Krim-Referendum, muss die Frage erlaubt sein, warum er den Tschetschenen nicht das gleiche Selbstbestimmungsrecht einräumte, das er jetzt so vehement für die Russen auf der Krim und in anderen postsowjetischen Ländern reklamiert. Die EU ihrerseits hat Moskau immer wieder eine enge Partnerschaft angeboten - und stieß auf taube Ohren, weil der Kremlchef auf einem Sonderstatus seines Riesenreiches als Großmacht beharrte. Nur deshalb hat Brüssel jene Assoziierungspolitik gegenüber der Ukraine und anderen postsowjetischen Staaten entwickelt, die Putin nun mit Gewalt bekämpft. Das Stichwort vom Sonderstatus führt direkt zum beliebtesten Argument aller Russland-Versteher (und Nato-Verächter) im Westen. Das eurasische Riesenreich, so funktioniert diese Rechtfertigungslehre, habe mit dem Zerfall der Sowjetunion seine Stellung als Supermacht verloren und leide deshalb unter unerträglichen Phantomschmerzen. Aber gibt es ein Recht auf imperiale Herrschaft? Die Briten mussten ihr Empire ebenso bröckeln sehen wie Spanier und Portugiesen ihre Kolonialreiche. Welche Begründung kann es dafür geben, dass Russland die baltischen Staaten, Georgien, die Ukraine oder Moldawien als seine imperiale Einflusssphäre reklamieren darf? Es gibt sie nicht. Nur vor diesem Hintergrund ist die Frage der Nato-Erweiterung statthaft. Ob US-amerikanische und bundesdeutsche Politiker den Russen nach dem Zerfall der UdSSR in die Hand versprochen haben, das Bündnis nicht nach Osten auszudehnen, ist nebensächlich. Wenn sie dies taten, so hatten sie dazu kein Recht. Schlimmer noch: Sie handelten über die Köpfe der Polen, Balten und Ungarn hinweg! Entscheidend ist, dass der Impuls für die Erweiterung von Nato und EU von den Völkern des östlichen Mitteleuropa ausging. Es waren die Tschechen und Slowaken, die Polen, die Balten und all die anderen, die nach Westen strebten. Und dazu hatten sie alles Recht der Welt, genau wie die Ukraine dieses Recht hat. Die von Deutschland mit gesteuerte EU hätte es sich nie und nimmer erlauben können, den Staaten des östlichen Mitteleuropa den Beitritt zur westlichen Gemeinschaft zu verwehren, in deren Kulturkreis sie seit Jahrhunderten verortet sind. All die westlichen Masochisten, Nato-Verächter und Putin-Versteher dieser Tage sind dabei, die Freiheit unserer so lange unterjochten Nachbarvölker einmal mehr zu ignorieren und auf dem Altar eines fehlgeleiteten Verständnisses für ein diktatorisch regiertes Russland zu opfern. Das ist ein Skandal.

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