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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zur Spähaffäre: Mit verdecktem Blatt von Thomas Spang

Regensburg (ots)

Die NSA-Affäre gibt brisante Einblicke in die Abgründe der Geheimdienst-Realität.

Die öffentliche Empörungsmaschine über den Lauschangriff auf das Kanzlerin-Handy läuft auf Hochtouren und wirft berechtigte Fragen auf. Wie kommt die befreundete Supermacht darauf, ausgerechnet die nibelungentreue Angela Merkel ins Visier zu nehmen? Dieselbe Politikerin, die 2003 in der Washington Post öffentlich den damaligen Kanzler Gerhard Schröder für dessen fehlende Solidarität mit George W. Bush in Irak kritisiert hatte und später von Barack Obama mit der Freiheitsmedaille ausgezeichnet worden war. Die Antwort lautet: Weil die USA und ihr Geheimdienst NSA es technisch können. Und in Deutschland weitgehend freie Hand dazu haben. So jedenfalls sehen es die rechtlichen Rahmenbedingungen vor, die zusammen mit dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut von 1963 den amerikanischen Lauschern auf deutschem Boden fast alles erlauben. Die große Koalition unter dem Christdemokraten Kurt Georg Kiesinger und dem Sozialdemokraten Willy Brandt änderten 1968 sogar das Grundgesetz, um in Artikel 10 Absatz 2 die Tür für eine Überwachung zu öffnen, die den Rechtsweg ausschließt oder mindestens doch erheblich einschränkt. Das dazugehörige G-10-Ausführungsgesetz regelt die Befugnisse der Geheimdienste und die Kooperation mit ausländischen Diensten. Auf dieser Grundlage konnte die NSA ihre Aktivitäten in Deutschland entfalten. Während die deutschen Schlapphüte manchmal weggeschaut, oft profitiert und zuweilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit aktiv kooperiert haben dürften. Das erklärt, warum die offizielle Reaktion nach den ersten Enthüllungen im Juni anders ausfiel als diesmal. Ging es damals doch "bloß" um die Überwachung der Kommunikation der Bürger. Aus den Snowden-Unterlagen geht hervor, dass Berlin mindestens über Teilaspekte von PRISM Bescheid gewusst haben muss. Der NSA überließ BND und Verfassungsschutz sogar das XKeyscore genannte Programm, mit dem sich in erfassten Daten suchen lässt. Ein Google für Schnüffler. Berlin dürfte also mehr Gründe als den Wahlkampf gehabt haben, die Affäre rasch für beendet zu erklären. Umso mehr stehen Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Innenminister Hans-Peter Friedrich nun blamiert da. Bei den vertraulichen Insider-Gesprächen im Sommer in Washington ging es gewiss nicht um die Bespitzelung des Kanzlerin-Handys. Zu Recht bestand auf Seiten der Bundesregierung die Erwartung, dass diese Grenze nicht überschritten wird. Während die Deutschen die Aufregung nutzen wollen, um in den erlauchten Kreis der "fünf Augen" aufgenommen zu werden - also die Dienste der USA, Großbritanniens, Kanadas, Australiens und Neuseelands, die sich nicht gegenseitig ausspionieren - geht es den Amerikanern darum, Einschränkungen für ihre Dienste im Ausland zu vermeiden. Es besteht der Verdacht, dass beide Seiten nicht mit offenen Karten spielen. Wobei Barack Obama in diesem Fall das schlechtere Blatt in der Hand hält. Politisch kann er einfach nicht glaubwürdig verkaufen, von dem Lauschangriff auf Merkel und 34 andere Staatschefs nichts gewusst zu haben. Aus Sicht des Weißen Hauses mag es deshalb besser sein, dass der Präsident wenig Konkretes sagt. Die Fragen verschwinden damit nicht. Kosmetisch wird Washington nicht daran vorbeikommen, Regeln zu etablieren, die künftig die Unterschrift des Präsidenten verlangen, wenn ausländische Regierungschefs abgehört werden. Obama selbst dürfte peinlich darum bemüht sein, diese Praxis bei den Führern befreundeter Nationen auszuschließen. Was sein Nachfolger einmal machen wird, steht dagegen in den Sternen. Zumal die Operationen gegen andere Staatsführer unverdrossen weitergehen.

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