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Mittelbayerische Zeitung: Die Tür ist nicht ganz zugenagelt - Die Sondierungen zwischen Union und Grünen haben ein neues politisches Projekt aufgezeigt. Von Reinhard Zweigler

Regensburg (ots)

Man traute Dienstagnacht ja seinen Augen und Ohren nicht. Für eine kurzen historischen Augenblick war der Türspalt für eine schwarz-grüne Koalition geöffnet. Selbst nach dem Scheitern des Sondierungsgesprächs gab es - vereinzelt - Küsschen rechts und links sowie viele warme Worte, von Schwarz und von Grün. Es muss nach dem 22. September eine wundersame Parteien-Metamorphose vor sich gegangen sein. Die Grünen waren, aus Sicht der Union, urplötzlich nicht mehr die Oberlehrer, die die Menschen mit einem vegetarischen Tag und erneuerbarem Strom pur beglücken wollten, sondern ernsthafte Partner. Und Merkel, Seehofer, Dobrindt und Co. waren über Nacht nicht mehr die kalten und gefühllosen Machtmenschen aus dem Wahlkampf, sondern Partner auf Augenhöhe. Die schwarz-grünen Sondierungen haben ein neues politisches Projekt für Deutschland aufgezeigt, zu dem beiden Seiten freilich noch der Mut fehlte. Allerdings, wer weiß das jetzt schon genau, ist die Tür zu Schwarz-Grün nicht völlig zugenagelt. Sollte die große Koalition doch nicht zustande kommen, warum auch immer, läge ein Bündnis von CDU/CSU und Grünen wieder auf dem Tisch. Man soll in der Politik niemals nie sagen. Gescheitert ist der erste Anlauf für ein schwarz-grünes Projekt auf Bundesebene interessanterweise nicht so sehr an unterschiedlichen Vorstellungen zur Energiewende oder zur Migrations- und Flüchtlingspolitik, sondern letztlich an den unvereinbaren Positionen in der Steuerpolitik. Als der inzwischen abgehalfterte Ex-Fraktionschef und Möchtegern-Finanzminister Jürgen Trittin die Steuererhöhungskarte zog, platzte die schwarz-grüne Vision wie eine Seifenblase. Realos, wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, aber auch zahlreiche Unioner, haben die Kompromisslosigkeit in dieser Frage bedauert. Wohl auch deshalb, weil die zu neuer Bürgerlichkeit tendierenden Grünen gerne eine Option abseits des überholten Rechts-Links-Schemas hätten. Auch der Union käme die Erweiterung ihrer politisch-strategischen Möglichkeiten sehr gelegen. Und nun? Die Sozialdemokraten haben das schwarz-grüne Techtelmechtel mit Argusaugen, Argwohn und sogar leicht wollüstiger Na-lasst-sie-doch-machen-Stimmung verfolgt. Nach dem schwachen 25-Prozent-Ergebnis und dem zuletzt frostigen Sondierungsklima ist längst nicht ausgemacht, ob das heutige Gespräch mit der Union erfolgreicher verläuft. In dem Fall fiele es Gabriel und Co. auch verdammt schwer, den kleinen SPD-Parteitag von der Aufnahme offizieller Verhandlungen mit der Union zu überzeugen. Einigen SPD-Linken - Gabriel ausdrücklich ausgenommen - ist ein Scheitern der Gespräche mit der Union ohnehin lieber. Dies könnte dann als veritabler Vorwand für ein ganz anderes Projekt genutzt werden, für Rot-Grün-Rot nämlich. Denn rein rechnerisch betrachtet wird der Wahlsieger Union nicht zum Regieren gebraucht. Der Koalitionspoker steht vor einem Patt. Und Neuwahlen, die sich mancher in der Union nun wünschen mag, sind kein wirklicher, vielleicht sogar ein verfassungswidriger Ausweg. Dass die Union im Fall eines erneuten Urnengangs die knapp verfehlte absolute Mehrheit holte, ist nicht ausgemacht. Sicher dagegen scheint, dass dann kleine, extreme Parteien auf beiden Seiten des Spektrums, von der Linken bis zur Euro-kritischen alternative für Deutschland, noch mehr an Zulauf gewinnen würden. Nach Lage der Dinge, muss die Union den Sozialdemokraten heute etwas bieten, was denen den Weg zu Schwarz-Rot eröffnet. Der Koalitionspoker geht in die nächste Runde.

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