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Mittelbayerische Zeitung: Beifall für Breiviks Richter

Regensburg (ots)

Von Stefan Stark

Viele Leute - nicht nur in Norwegen - hätten sich drakonische Strafen aus dem Mittelalter-Folterkeller für Anders Breivik gewünscht. Wären seine Taten nicht schon schrecklich genug, ließen spätestens die Bilder von einem lächelnden Angeklagten, der nie den Hauch von Reue zeigte, die Wut in der Öffentlichkeit überkochen. Die Tatsache, dass Breivik dann auch noch mit seinen größenwahnsinnigen Verteidigungsversuchen im Nachhinein jedes seiner 77 Opfer verhöhnte, macht es auch für ansonsten besonnene Menschen schwer, auf dem Boden von Recht und Gesetz zu bleiben. Vor dem emotional so aufgeheizten Hintergrund ist der souveräne Umgang der Osloer Richter mit diesem Fall umso bemerkenswerter. Sollten Juristen je Anschauungsunterricht brauchen, wie man einen rechtsstaatlichen und wegweisenden Prozess gegen einen Terroristen und Massenmörder führt, finden sie ihn in Norwegen. Selten zuvor stand ein Gericht gleichzeitig unter einem so hohen Erwartungsdruck und ständiger öffentlicher Beobachtung. Und doch sind Breiviks Richtern während des Mammutverfahrens mehrere Kunststücke gelungen, für die sie Applaus verdienen. Denn an den 43 Gerichtstagen und mit der Urteilsverkündung am Freitag wurde weit mehr geklärt als die Schuldfrage. Die Richter verhinderten konsequent, dass Breivik den Prozess als Bühne zur Verbreitung seiner kruden Theorien benutzen konnte. Vielmehr gelang es ihnen, den Täter als gemeinen Mörder zu demaskieren. Gleichzeitig gab das Gericht jedem einzelnen der 77 Opfer noch einmal eine Stimme, indem es alle Taten bis ins letzte Detail rekonstruierte und durch Zeugen noch einmal nachstellte. Beides ist beispielhaft für eine gute Justiz. Für die norwegische Öffentlichkeit mag es nach Breiviks Verurteilung zunächst am wichtigsten sein, dass sie sich vor ihm in Sicherheit fühlen kann. Nach Verhängung der Höchststrafe wird er wohl nie wieder mordend durchs Land ziehen. Er wird eine lange Zeit hinter Gittern verbringen - vermutlich bis an sein Lebensende. Dafür bedurfte es keiner neuer Paragrafen - wie von Scharfmachern gefordert. Denn die bestehenden Gesetze Norwegens reichen aus. Von politischer Dimension und für die Gesellschaft des Landes wegweisend ist die Feststellung der vollen Schuldfähigkeit des Rechtsextremisten. Damit wird Breivik nicht für verrückt erklärt und einfach in die Psychiatrie abgeschoben. Für Norwegen wäre das die auf den ersten Blick bequemere Lösung gewesen. Denn dann hätte man die Anschläge von Oslo und Utøya als Amoklauf eines psychopathischen Einzeltäters abhaken können. Natürlich stellt sich die berechtigte Frage, ob jemand, der 77 Menschen kaltblütig tötet, zurechnungsfähig ist. Wer wie Breivik zunächst eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo zündet, um dann mordend durch ein Ferienlager zu ziehen, ist zweifelsfrei nicht normal. Aber ist jemand, der seine Wahnsinnstat jahrelang bis ins kleinste Detail vorbereitet, sie sogar mit einem ideologischen Manifest begründet, einer, der die Folgen seines Handelns nicht abschätzen kann? Mit der Feststellung der vollen Schuldfähigkeit haben die Richter nun entschieden, dass Breivik ins Gefängnis wandert. Damit ist zwar das juristische Kapitel abgeschlossen. Gleichzeitig legt das Urteil den Finger in eine Wunde der norwegischen Gesellschaft. Indem es anerkennt, dass die Tat einen politischen Hintergrund hatte, gibt es der Öffentlichkeit einen Auftrag: Sich damit auseinanderzusetzen, dass ein gefährlicher Nährboden existiert, auf dem der Hass von Leuten wie Breivik mitten in dem vermeintlich so liberalen Land im Verborgenen gedeihen kann. Die schreckliche Mischung aus Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie kann überall und jederzeit einen Täter wie Breivik hervorbringen.

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