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Mittelbayerische Zeitung: Kommentar zur Ukraine/EM/Timoschenko: Deutsche Rechthaber, polnische Profiteure

Regensburg (ots)

Um Missverständnissen vorzubeugen, sei das Selbstverständliche vorweg gesagt: Ja, Julia Timoschenko ist derzeit Opfer einer Rachejustiz. Und ja: Der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch arbeitet daran, in Kiew ein autoritäres Regime zu installieren. Schließlich: Das Land ist von mafiosen Machtstrukturen durchzogen. Opfer sind die Menschen. Dennoch sind Vorwürfe aus dem EM-Co-Gastgeberland Polen, die deutsche Wutbürgerschaft ereifere sich im Fall Timoschenko über alle Maßen, nicht gänzlich unberechtigt. In keinem anderen Land Europas schwappt die Empörungswelle derart hoch wie in Deutschland. Das mag man bedauern, weil gemeinschaftlicher europäischer Druck in der Ukraine durchaus etwas bewirken könnte. Man kann sich aber auch fragen, wie das kommt. Da ist vor allem die Person Timoschenko selbst. In Deutschland wird seit Monaten ein Märchen erzählt: Böser brutaler Mann kerkert schöne unschuldige Frau ein. Doch während Janukowitsch tatsächlich eine Art Ober-Oligarch ist, der sein Land ausbeutet, ist Timoschenko alles andere als eine Heilige oder eine Prinzessin. Sie hat sich selbst ein hunderte Millionen Dollar schweres Vermögen ergaunert und die Erfolge der demokratischen orangen Revolution aus persönlichem Ehrgeiz und purer Eitelkeit zunichte gemacht. Es ist kein Wunder, dass sich in der Ukraine fast niemand darüber aufregt, dass die frühere Regierungschefin im Gefängnis sitzt. Woher also rührt die deutsche Empörung im Fall Timoschenko, die es - nur zum Beispiel - in der Causa des inhaftierten russischen Oligarchen Michail Chodorkowski nicht gibt? Möglicherweise ist die Enttäuschung über die Entwicklung in der Ukraine hierzulande besonders groß, weil die Hoffnungen in der Berliner Politik nach der orangen Revolution riesig waren. Die Ukraine sollte zu einem demokratischen Vorzeigestaat im Osten werden. Unverkennbar ist aber vor allem ein deutscher Drang, auf der Seite des Guten und Richtigen zu stehen. Dem Timoschenko-Märchen lauscht man in Deutschland allzu gern. Ob dies tatsächlich ein Wiedergutmachungsdrang als Spätfolge des Nazi-Terrors ist, wie manche Sozialpsychologen behaupten, sei einmal dahingestellt. Rechthaberisch ist es in jedem Fall. Politisch klug dagegen ist es nicht. Vor allem die deutsch-polnische Zusammenarbeit, die in den vergangenen Jahren so hervorragend funktioniert hatte, steht plötzlich wieder auf dem Prüfstand. Das ist bitter. Allerdings tragen auch die Polen ihren Teil zu der unerfreulichen Entwicklung bei. Offensichtlich ist, dass Warschau mit seiner Mahnung zur Besonnenheit eigene Interessen verfolgt. Für das Wirtschaftswunderland Polen ist die Europameisterschaft eine Riesenchance, sich der Welt in strahlendem Licht zu präsentieren. Die ökonomischen Perspektiven hängen stark von einer erfolgreichen EM ab. Unstrittig ist auch, dass Polen das Turnier ohne die ukrainischen Oligarchen-Milliarden nicht bekommen hätte. Im Jahr 2007, als die EM nach Osteuropa vergeben wurde, war die Entscheidung der UEFA nicht nur als Unterstützung für die demokratischen orangen Kräfte in der Ukraine gedacht, die seit 2005 in Kiew das Sagen hatten. UEFA-Boss Michel Platini wollte sich auch der Stimmen aus dem Osten für seine Wahl versichern. Und schließlich leckten sich viele westliche Sponsoren die Finger nach einem noch unerschlossenen Markt. Polen war ein Profiteur dieser Entwicklung. Insofern ist die Empörung dieser Tage nicht ganz ehrlich. Den Einsatz für die Menschenrechte, den polnische Politiker üblicherweise vor sich hertragen wie eine Monstranz, sparen sie sich im Falle der Ukraine für die Zeit nach der EM auf. Es hilft jedoch niemandem, wenn nun auch noch EU-intern die Fetzen fliegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel und der polnische Premier Donald Tusk haben einen guten Draht zueinander. Der neue Bundespräsident Joachim Gauck und sein Warschauer Amtskollege Bronislaw Komorowski präsentierten sich kürzlich als Herzensfreunde. Jetzt ist der Augenblick, in dem es gilt, diese Freundschaft mit politischem Leben zu erfüllen. Autor: Ulrich Krökel

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