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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel zu Ukraine/Timoschenko

Regensburg (ots)

Zum Ende des Prozesses vor dem Kiewer Petscherski-Gericht wandte sich Julia Timoschenko am Freitag mit dem Rücken dem Richter zu und richtete vor Zuhörern im Saal scharfe Vorwürfe gegen Präsident Viktor Janukowitsch, der den Prozess gegen die ehemalige Führerin der orangenen Revolution wohl initiiert hat. Die Frau mit dem traditionell geflochtenen Haarkranz steht vor Gericht, weil sei als Ministerpräsidentin im Januar 2009 einen für die Ukraine "unvorteilhaften" Gasvertrag mit Russland aushandelte und damit ihre Amtsvollmachten missbrauchte, so die Anklage. Die Wahrheit ist wohl eher, dass der im Januar 2010 nach der gescheiterten "orangenen Revolution" gewählte Viktor Janukowitsch mit einer politischen Konkurrentin abrechnen will. Für Dienstag in einer Woche wird die Urteilsverkündung erwartet. Die Staatsanwaltschaft fordert für Timoschenko sieben Jahre Haft, eine Entschädigungszahlung in Höhe von 190 Millionen Dollar für den "unvorteilhaften" Gasvertrag sowie den Entzug des Rechts auf staatliche Ämter für drei Jahre. Für die politische Führung in Kiew wäre eine lange Haftstrafe für die Oppositionsführerin brisant. Die USA und die EU haben in einem Brief ihre Besorgnis über den Prozess ausgedrückt. Beobachter vermuten, dass Kiew das Problem löst, indem Timoschenko nach der Verurteilung begnadigt wird. Die EU hofft, dass es nicht zum Schlimmsten kommt, denn eigentlich soll noch in diesem Jahr das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine fertiggestellt werden. Für die EU ist die Ukraine das wichtigste Land der "östlichen Partnerschaft", das mehrere osteuropäische Länder umfasst. Die Parallele zum Prozess gegen den ehemaligen Öl-Magnaten Michail Chodorkowski in Russland ist bei dem Prozess gegen Timoschenko offensichtlich. Sowohl der Prozess gegen die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin als auch der Prozess gegen Chodorkowski folgten einem politischen Machtwechsel. Beide Male rechnen die Machthaber mit westlich orientierten Kritikern ab, die man als potentielle Gegenspieler kaltstellen möchte. Beides Mal versuchen die politischen Sieger exemplarisch zu zeigen, dass die Macht der alten Elite beendet ist und eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Mit unabhängiger Rechtssprechung hat dieses Vorgehen nichts zu tun. Moskau, von dem sich Kiew durch eine Verurteilung von Timoschenko mehr Entgegenkommen in der Frage des Gaspreises erhoffte, scheint seinen Druck auf Kiew hinsichtlich eines Beitrittes zur Dreier-Zollunion von Russland, Weißrussland und Kasachstan nun einzustellen. Bei einem Besuch des ukrainischen Präsidenten Ende September in Moskau begannen Janukowitsch, Putin und Medwedew mit Beratungen über die Bildung eines Konsortiums zur Bewirtschaftung der ukrainischen Gaspipelines. An dem Konsortium sollen nach dem Willen von Kiew außer der Ukraine und Russland auch die EU beteiligt werden. Russland stellte der Ukraine einen Preisnachlass beim Gas in Aussicht, wenn es ein attraktives Angebot bei den Gaspipelines gibt. Bei der Bevölkerung in der Ukraine ist das Interesse an dem Prozess gegen Timoschenko gering. "Vaterland", die Partei von Timoschenko, stagniert bei Meinungsumfragen seit Mai bei 14 Prozent. Der wichtigste Grund ist, dass die Frau mit dem geflochtenen Haarkranz am Leben der einfachen Menschen während der "orangenen Revolution" wenig verbessern konnte. Die Auseinandersetzung vor Gericht sehen die meisten Ukrainer als Auseinandersetzung der neuen mit der alten Elite. Auch diese Tatsache sollte die EU bei ihrem Auftreten gegenüber der Ukraine im Blick haben.

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