Alle Storys
Folgen
Keine Story von Westdeutsche Allgemeine Zeitung mehr verpassen.

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

WAZ: Große Koalition in Berlin wahrscheinlich: Hintertupfingen statt Jamaika - Leitartikel von Hendrik Groth

Essen (ots)

Na bravo! Das Establishment der Bundesrepublik hat
sich wieder durchgesetzt. Hasenfüßig und zaudernd wurde die
Erkundungsreise nach Jamaika abgesagt. Die Karibik ist eben zu weit
weg, zu exotisch, Hintertupfingen hingegen ganz nah und doch so
vertraut. Ja, ohne jeden Zweifel, man hätte Fantasie und auch
politischen Mut gebraucht, um die Koalitionsfähigkeit von Schwarzen
und Grünen auf Bundesebene auszutesten. Dass es nicht dazu kommt, ist
bei den Protagonisten des lähmenden Status Quo wie Edmund Stoiber
oder Guido Westerwelle nicht überraschend. Ihre vordergründigen
Motive sind parteipolitisch einleuchtend und gleichzeitig banal. Im
Winter 1989 kürte der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger Michail
Gorbatschow zu einem Helden des Übergangs, da er von sich aus
Positionen geräumt hat, zum Wohle des Landes. Es wäre vermessen,
einen Gorbatschow mit einem bayerischen Provinzfürsten oder einem
FDP-Chef zu vergleichen. Stoiber geht es darum, die Kanzlerin Angela
Merkel zu verhindern. Schwarz-Gelb-Grün wäre eine solche Option für
Merkel gewesen. Westerwelle wiederum fürchtet zu Recht, dass sich die
Union den Grünen öffnet und sich die Grünen ihrerseits aus der
Nibelungentreue zur SPD lösen. Die FDP hätte eine strategisch starke
Position verloren, wenn es um die Bildung von Landes- und
Bundesregierungen geht. Deshalb Westerwelles Provokation, die Grünen
könnten doch in einer Jamaika-Koalition einfach ein schwarz-gelbes
Regierungsprogramm tolerieren. Über eine solche Hürde konnte Grün
nicht springen. Der Geist von Schwarz-Grün ist aber aus der Flasche.
Grüne und Union werden sich neu ausrichten müssen. In der
Wirtschafts- und Finanzpolitik hätte sich Grün mit der CDU schnell
einigen, in der Umwelt- und Gesellschaftspolitik ein Rollback
verhindern können. Auch die CDU hätte profitiert und den von Merkel
eingeleiteten Reformweg konsequent fortführen können. Hätte, wäre,
könnte. Die Weichen sind auf große Koalition gestellt, ein Bündnis
ohne Charme und Aufbruchstimmung. In NRW sollten sich die Strategen
Gedanken über die strukturelle Mehrheit an Rhein und Ruhr machen. Dem
Triumph von Jürgen Rüttgers folgte binnen weniger Monate ein Sieg von
Rot-Grün. Wer nur mit einem kann, dem geht schnell jede
Gestaltungskraft verloren.

Rückfragen bitte an:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung

Telefon: (0201) 804-0
Email: zentralredaktion@waz.de

Original-Content von: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Weitere Storys: Westdeutsche Allgemeine Zeitung