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WAZ: Hoffnungs-Gemeinschaft - Weshalb gerade heute die Kirchen voll sind - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Wenn heute und morgen wieder die Kirchen voll sind,
dann vermutlich nicht mit lauter Menschen, die die Menschwerdung 
Gottes feiern. Überzeugte Christen werden sich darüber freuen, selbst
wenn sie ahnen, das auch überzeugte Nicht-Christen nur an diesem Tag 
das christliche Ritual bereichernd oder sogar erfüllend finden.
Es gibt gute, wenngleich sehr weltliche Gründe, heute in die 
Kirche zu gehen. Lange war es draußen dunkel, nun wird es wieder 
heller. Ein Anlass zur Hoffnung, wie die Geburt Jesu. Gerade in den 
vergangenen 20 Jahren ist uns mehr oder weniger abhanden gekommen, 
was Gemeinschaft stiftet. Sozialforscher finden viele Belege für 
diese Individualisierung des Lebens, die prinzipiell, als möglich 
gewordene Selbstverwirklichung, auch ihr Gutes, Fortschrittliches 
hat, wenn auch Schattenseiten. Heiligabend sind die Kneipen voll von 
einsamen Menschen.
Kirche stiftet ein starkes Gemeinschaftserlebnis. Das liegt an 
der Liturgie, auch wenn sie altmodisch anmutet. Positiv gewendet: 
Liturgie heißt, auf die Kirche ist Verlass. Dieser von dicken Mauern 
geschützte Raum liefert in der Heiligen Messe, was gerade zu diesem 
besonderen Tag, pardon, bestellt wurde, nämlich, sich im doppelten 
Sinn aufgehoben zu fühlen; zugleich beschützt und als Teil einer 
sympathischen Hoffnungs-Gemeinschaft. Wenn Christentum die Botschaft 
verkündet, das Leben werde schon irgendwie weitergehen, dann liegt 
darin ein großer Trost. Er wirkt umso mehr, je schlechter die 
Nachrichten sind. Und an denen herrschte gerade im ausklingenden Jahr
nur wenig Mangel.
Es ist ein sehr menschlicher Widerspruch, eine Messe zu besuchen,
ohne sich der Kirche verpflichtet zu fühlen. Es lässt sich aber auch 
die christliche Autorität des katholischen Papstes anerkennen, ohne 
seinen sexualmoralischen oder bioethischen Empfehlungen zu folgen. 
Menschen, die zu Hundert Prozent in ihrem Leben dem Wort Gottes oder 
dem seiner Verkünder folgen wollen, nennen wir Fundamentalisten. 
Christlicher Fundamentalismus ist, der Aufklärung sei Dank, 
mindestens in Europa eine Minderheiten-Ansicht. Die Lehre aus der 
alles andere als gewaltfrei verlaufenen Geschichte des Christentums 
lautet, dass niemand, der Fundamentalismus überwinden will, auf 
seinen Glauben verzichten muss; dies aber darf. Was wäre es für ein 
zivilisatorischer Fortschritt, wenn diese Botschaft in jeder mit mehr
oder weniger gläubigen Menschen gefüllten Kirche gepredigt werden 
dürfte, ganz gleich, wo sie steht.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de

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