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WAZ: Literatur-Nobelpreis für Lessing: Wieder einmal viel zu spät - Leitartikel von Wolfgang Platzeck

Essen (ots)

Dass die Akademie mit der Wahl von Doris Lessing die
Fachwelt überrascht hat, kann nicht überraschen. Die Stockholmer 
scheinen sich ein Vergnügen daraus zu machen, den Experten ein 
Schnippchen zu schlagen. Wieder kein Erzähler von Rang wie Philip 
Roth oder John Updike. In einer schier endlosen Reihe schwer 
nachvollziehbarer Entscheidungen wirkt der Vorjahres-Preisträger 
Orhan Pamuk als ebenso überragender wie hellwacher heutiger Erzähler 
fast wie eine Verlegenheitslösung.
Da wurde zuvor, 2004, Elfriede Jelinek aus dem Hut gezaubert oder
gar, 1997, der politische Possenreißer Dario Fo, dessen Wahl ein 
Tiefpunkt in der Geschichte des Preises ist. Doch im Grunde gilt 
wohl: Geehrt wird ein Autor zu einem Zeitpunkt, da die Zeit über ihn 
und sein Werk weitgehend hinweggezogen ist. Das galt für William 
Golding ebenso wie für den Blechtrommler Grass (ja, auch für den und 
ungeachtet der gehäuteten Zwiebel) oder für Harold Pinter, um nur 
drei zu nennen.
Im Falle von Pinter war 2005 das Votum der Jury immerhin ein 
klares Bekenntnis zur politischen Linken. Ein Bekenntnis, leider kein
ästhetisches, hat die Jury auch diesmal abgelegt - durch den Verweis 
auf das Feministen-Evangelium "Das goldene Notizbuch"; doch dieses 
Bekenntnis führt in eine weitgehend überwundene Vergangenheit. Das 
Buch entstand 1962, und in den Aufbruchsjahren nach 1968 (auch da war
Doris Lessing längst kein literarischer Niemand mehr) hätte man 
eingedenk gesellschaftlicher Relevanz den Preis abnicken können. Aber
2007? Doris Lessing selbst hat sich (und ihr Werk) immer 
unmissverständlich gegen das Etikett "feministisch" verwahrt. Und was
heute junge, emanzipierte, selbstbewusste Frauen bewegt, das hat 
nichts zu tun mit dem Frauenbewegten zurückliegender Jahrzehnte.
Auch wenn kaum jemand glücklich ist über die Entscheidung, am 
wenigsten wahrscheinlich Marcel Reich-Ranicki - einige freuen sich 
doch. Die Mitarbeiter von Hoffmann und Campe zum Beispiel. Der Verlag
wurde auf der Buchmesse in Frankfurt von der Nachricht freudig 
überrascht. Ein Nobelpreisträger im Programm lässt auf höheren Umsatz
hoffen. Vermutlich werden in den nächsten Wochen Unmengen von 
Lessing-Werken gekauft und verschenkt. Und dann? Man kann die Bücher 
lesen, sollte sie vielleicht auch lesen, muss es aber nicht unbedingt
tun. Denn es gibt, wie auf der Messe zu sehen, unzählige Autoren 
neben Roth & Co., die es zu entdecken gibt. Man muss ja nicht warten,
bis der eine oder andere in 30 Jahren den Nobelpreis erhält.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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