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BERLINER MORGENPOST: Spannend sind die Kleinen
Leitartikel von Hajo Schumacher

Berlin (ots)

Große demokratische Preisfrage: Bilden mehr Parteien im Parlament auch mehr Bürgerwillen ab? In Niedersachsen kann am Sonntag beides geschehen: Ein Dreier-Landtag mit Schwarz, Rot, Grün ist ebenso denkbar wie der Sechser mit Links, Liberal und Piraten dazu. Die Stimmung rund um die gefühlte Landeshauptstadt Großburgwedel ist eher norddeutsch unterkühlt, kein Aufregerthema in Sicht, dass die Wähler in Scharen zum Ankreuzen treibt. Am Start scharrt ein übercoachter Amtsinhaber mit dem ins Emsländische spielenden Namen McAllister - dagegen steht der bieder-verlässliche Sozialdemokrat Weil. Die dritte Volkspartei ist grün und präsentiert mit Anja Piel das Modell Mutti. Drei durchaus respektable Figuren, die dem bundesweiten Trend zu netter Langeweile folgen, so wie Dreyer, Kretschmann, Kramp-Karrenbauer, Kraft, Scholz oder Sellering. Hat die Demokratie so viel Einheitlichkeit gewollt? Werden hier Land und Leute tatsächlich abgebildet? Eher nicht. Deswegen gehören auch andere Parteien in den Landtag, solange keine Braunen dabei sind. Die Fünfprozenthürde verhindert, dass nur Partikularinteressen vertreten werden, von wegen Biertrinker-, Pogo- oder Golfer-Partei. Die Piraten zum Beispiel hätten eine weitere Chance verdient, weil sie sich nach dem Chaos des Herbstes wieder einigermaßen gefangen haben. Eher Bande als Organisation, bilden die Idealisten das spannendste demokratische Experiment seit Aufkommen der Grünen. Hier werden junge Wähler mobilisiert und Themen gesetzt, die die Etablierten verpennen. Deswegen dürfen die Rookies in Orange gern ein weiteres Übungsgelände bekommen. Die Linken, zu Recht oft abgeschrieben, dürften sich über die Auftritte des SPD-Kandidaten Steinbrück genauso freuen wie die Kanzlerin. Pannen-Peer ist der beste Wahlhelfer für die Brigade Wagenknecht, denn der Kandidat ist ebenso Schröderianer wie Niedersachsen-Herausforderer Weil, der sich angeblich vom Altkanzler beraten lässt. Doch wenn die SPD Millionen von prekär Beschäftigten oder Abgehängten nicht repräsentiert, dann drängen die Linken ins Parlament. Wohl auch in Hannover. Bliebe der letzte und schwierigste Fall - eine gewisse FDP. Es ist ja ein Elend: Die Liberalen haben wahrscheinlich das beste Programm von allen, aber leider die fürchterlichste Truppe. Mobbingfreude und Grundgehässigkeit sind inzwischen wohl Aufnahmekriterien. Immerhin: Der Entertainment-Faktor ist groß. Schon deswegen muss man dem Parteivorsitzenden und Vizekanzler in seinem Heimatland Niedersachsen einen Erfolg wünschen, einfach nur, um ihn im Amt zu halten und das Quietschen der Niebels und Kubickis zu erleben. Letzte und entscheidende Frage: Was bedeutet es eigentlich für die Macht, wenn ein halbes Dutzend Parteien im Parlament zu Hannover sitzt? Gut möglich, dass weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine Mehrheit haben. Dann gibt es eine große Koalition. Und schon werden die Grenzen des demokratischen Ideals sichtbar: Kleine im Parlament bedeuten noch lange nicht, dass Kleine auch machen dürfen. Vielleicht diesmal auch ganz gut so.

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