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Boersen-Zeitung: Chirac kapituliert, Kommentar von Gerhard Bläske zum Scheitern der französischen Arbeitsmarktreform

Frankfurt (ots)

Wie sich doch die Bilder gleichen. Mit schöner
Regelmäßigkeit kapitulieren französische Regierungen vor dem Druck 
der Straße und ziehen ihre Reformprojekte zurück. So auch diesmal. 
Das Ende des Ersteinstellungsvertrages für Jugendliche (CPE) begräbt 
eine weitere Hoffnung, die seit Jahrzehnten bei weit über 20% 
liegende Jugendarbeitslosigkeit des Landes endlich einmal mit anderen
Mitteln zu bekämpfen als nur mit neuen Subventionen.
Wieder einmal wurde eine Chance vertan. Zwar waren vom CPE keine 
Wunder zu erwarten. Aber einen Versuch wäre es wert gewesen, denn 
schlechter als jetzt kann es kaum noch werden. Eine Flexibilisierung 
des rigiden Arbeitsmarktes gerade für Schulabgänger könnte den in 
Frankreich besonders schwierigen Übergang von der Ausbildung in das 
Berufsleben etwas erleichtern.
Nun greift die Regierung wieder einmal in den Staatssäckel und 
schüttet Geld aus. Geld, das nur um den Preis einer weiteren Anhebung
der ohnehin hohen Steuer- und Abgabenlast und der dramatischen 
Verschuldung zu mobilisieren ist. Geld, das mangels echter 
Reformideen schon in der Vergangenheit versandet ist, ohne 
irgendetwas zum Besseren zu wenden. Natürlich bedürfen die 
Jugendlichen aus den Problemgebieten besonderer Unterstützung. Doch 
die, die jetzt auf den Straßen waren, gehören gar nicht in diese 
Kategorie. Das sind die Kinder der Bourgeoisie, die davon träumen, 
als Beamte ein sorgloses Leben mit zahlreichen Privilegien zu führen.
Wenn selbst der "rechte" Staatspräsident Jacques Chirac die 
35-Stunden-Woche als soziale Errungenschaft bezeichnet, die man nicht
in Frage stellt, wie sollen sie da ein Bewusstsein dafür entwickeln, 
dass das Land über seine Verhältnisse lebt?
Frankreich braucht eine schonungslose Offenlegung der Situation. 
Doch dazu hat niemand den Mut, und selbst der ehrgeizige 
Innenminister Nicolas Sarkozy, der so gern anders sein will als 
Chirac, hat sich in der Krise eher als Opportunist denn als großer 
Reformer hervorgetan. Einstweilen heißt es in Paris: Weiter so wie 
bisher. Das Erwachen droht eines Tages bitter zu werden, und die dann
notwendigen Maßnahmen werden umso schmerzhafter sein. Bis dahin 
wiegen sich die meisten Franzosen in der trügerischen Sicherheit, 
hinter sicheren Schutzmauern zu leben. Wehe, wenn die Dämme brechen.
(Börsen-Zeitung, 11.4.2006)

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