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Börsen-Zeitung: Die Schuldigen des Chaos, Kommentar zur Krim-Krise von Eduard Steiner

Frankfurt (ots)

Über Theorien von gestern heute noch zu diskutieren, wirkt etwas überholt. Kremlchef Wladimir Putin nämlich hat inzwischen auf der ukrainischen Halbinsel Krim Fakten geschaffen. Die Krim sei de facto in russischer Hand und der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland sei "sicherlich die größte Krise in Europa im 21. Jahrhundert", sagt der britische Außenminister William Hague.

Vielschichtige Motive

Gerade deshalb scheint es aber doch nützlich, kurz an die Theorie zu erinnern, die seit Monaten, teils Jahren kursierte: Putin und seine sowjetisch sozialisierten Geheimdienstaufsteiger würden gezielt an einer Destabilisierung der Ukraine arbeiten. Nicht zuletzt die Parteinahme für den geflüchteten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch erhärtet rückblickend diese Theorie. Man hegte in Moskau nie Sympathie für ihn, vielmehr verachtete man ihn.

Aber man wusste ziemlich genau, dass er - mehr noch als seine Erzrivalin Julia Timoschenko - zu allem bereit war, wenn er sich nur an der Macht halten und bereichern könnte. Markantes Beispiel: Weil Moskau mit dem schnellen Geld winkte, ließ Janukowitsch Ende November das EU-Assoziierungsabkommen platzen und brüskierte damit alle im eigenen Land. Nun hat Moskau den chaotischen Moment genützt und sich dort militärisch breitgemacht, wo es immer schon Anspruch auf Mitsprache erhoben hatte.

Die tieferen Motive hinter dem Vorgehen des Kremls sind vielschichtig. Neben dem weitgehend destruktiven imperialistischen Reflex sind es auch legitime Interessen, die der große Nachbar der Ukraine an den Tag legt. Indirekt und vielleicht auch unbewusst hat sogar der Westen diese Nähe der beiden Nachbarstaaten beschworen, indem er sich immer darüber echauffierte, wenn Russland mit der Eintreibung der ukrainischen Gasschulden Ernst machte. Russland sollte der Ukraine zwar unter die Arme greifen, aber nicht mitreden, lautete die westliche Devise.

Mit sich selbst beschäftigt

Russland erhielt aber noch ein anderes Signal aus dem Westen. Weil dieser seit Beginn der Finanzkrise mit sich selbst beschäftigt war, sah Moskau freie Bahn, seine Ambitionen auf postsowjetischem Raum auszuleben. Und seit sich der Kreml im Georgien-Krieg 2008 auch versichern konnte, dass niemand außer ihm selbst eine militärische Option überhaupt einkalkuliert, war der Weg frei.

In der Tat ist es Moskau gelungen, sich als Hauptzuständigen für seinen postsowjetischen Hinterhof zu repositionieren. Allein, was es mit dem Einfluss soll, hat Moskau wenig bedacht. Eine Teilnahme an der von Moskau geführten Zollunion war nicht einmal für Janukowitsch interessant. Moskaus Vasallenstaaten wollen mit Russland handeln, billiges Gas, nahezu zinsfreies Geld und freien Personenverkehr für die vielen Gastarbeiter. Aber sie verbinden mit Russland keine große Zukunft. Moskau muss sich die Liebe immer teurer erkaufen und offenbar alle paar Jahre mit einem Militäraufmarsch einfordern.

Putin ist freilich nicht der Einzige, der die Ukraine in den Zustand manövriert hat, in dem sie sich jetzt befindet. Gerade die ukrainischen Oligarchen, die jetzt die weitaus mächtigeren russischen Tycoons fürchten, können sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Vor allem deshalb nicht, weil sie es waren, die so lange an Janukowitsch festgehalten haben. Erst ganz zum Schluss haben sie sich unisono und konzeptlos auf die Seite der prowestlichen Aufständischen geschlagen. Und denen wiederum, die teils extrem nationalistisch gesinnt sind, ist nichts Besseres eingefallen, als das Verbot des Russischen als zweiter Staatssprache zu planen.

Das sind die Stoffe, aus denen Tragödien und im schlimmsten Fall Kriege gebastelt werden. Noch nie war die Ukraine so nahe an eine Aufspaltung des Landes herangerückt wie in diesen Tagen. Denn selbst wenn die russischen Truppen nicht aufmarschiert wären, hätte man endlich Wege diskutieren müssen, die faktische Teilung in einen historisch, sprachlich und kulturell völlig konträr geprägten Osten und Westen auch organisatorisch und politisch realistischer zu administrieren - und im äußersten Notfall auch durch eine Staatenteilung nach tschechoslowakischer Art zu formalisieren.

Banken auf dem Sprung

Dafür wird in der jetzigen Hektik keine Zeit sein. Ohnehin blickt momentan alles abwechselnd auf die Krim und auf den Internationalen Währungsfonds (IWF), dessen Vertreter diese Woche in die Ukraine kommen. Sagt der IWF Hilfsgelder zu, erhält die Wirtschaft fürs Erste einmal eine Verschnaufpause. Wenn nicht, breitet sich das Feuer auf dem Dach weiter aus. Vor allem die Landeswährung Hrywnja würde dann wohl noch weiter absacken. Die Folgen: Die Leute würden noch schneller ihr Erspartes abheben und in Devisen umwandeln. Und der Staat, aber auch die privaten Kreditnehmer hätten nur noch größere Schwierigkeiten, ihre meist in Auslandswährungen denominierten Schulden zu bedienen.

Es ist genau dieses Szenario, das die Banken fürchten. Ohnehin waren sie schon seit geraumer Zeit in Absprungposition. Ein Teil von ihnen schaffte den Absprung. Viele andere sind jetzt gefangen. Nicht nur die westlichen wohlgemerkt, auch die - vorwiegend staatlichen - russischen Institute.

Im Unterschied zu Russland, das seine nun unterbrochene Geldvergabe an die Ukraine nur an die Loyalität gebunden hatte, verlangen der IWF und die EU marktwirtschaftliche Reformen. Die Ironie der Geschichte: Man wird vielleicht sogar darüber künftig mit Russland eher mehr und nicht weniger als bisher reden müssen.

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