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Börsen-Zeitung: Fragen an Francioni, Börsenkommentar "Marktplatz" von Dieter Kuckelkorn

Frankfurt (ots)

Bislang halten sich die Reaktionen am Finanzplatz auf die angestrebte Fusion von Deutscher Börse und Nyse Euronext in engen Grenzen. Dafür gibt es einen guten Grund: Es sind bislang noch kaum Details bekannt gegeben worden. Dies betrifft nicht nur externe Beobachter. Auch der Aufsichtsrat der Deutschen Börse tappt im Dunkeln. Er war vollkommen überrascht worden, als der Deal am Donnerstag vorzeitig bekannt gegeben wurde.

Für die Geheimniskrämerei gibt es sicher ein plausibles Argument: Am Donnerstag standen nur wenige Grundzüge des Deals fest. Für das Agieren im Verborgenen mag es aber noch ein weiteres Motiv geben: Offenbar haben Börsenchef Reto Francioni und sein New Yorker Pendant Duncan Niederauer vor, die Öffentlichkeit und die zuständigen Gremien vor vollendete Tatsachen zu stellen. Ein solches Fait accompli würde die Möglichkeit ausschließen, dass sich Widerstand formiert und die ganze Angelegenheit in der Folge schlicht zerredet wird.

Eine solche Taktik scheint sogar gegenüber dem Aufsichtsrat gefahren zu werden. Dabei ist dieser das Gremium, das die Entscheidungsgewalt hat. Der Aufsichtsrat soll erst am Dienstag informiert werden und dann gleich dem Deal zustimmen, der kurz danach der staunenden Öffentlichkeit in einer Pressekonferenz am späten Nachmittag präsentiert wird.

Diese Vorgehensweise ist äußerst bedenklich. Die Aufsichtsratsmitglieder dürften kaum in der Lage sein, sich binnen weniger Stunden über alle Konsequenzen einer solch weitreichenden Transaktion ein Urteil zu bilden. Insofern sind Aufsichtsrat, aber auch Börsenaufsicht und die Öffentlichkeit gut beraten, Reto Francioni viele Fragen zu stellen, detaillierte Antworten zu verlangen und eine vorschnelle Zustimmung zu vermeiden. Und was die Antworten betrifft, so gilt es klar zu unterscheiden, was reine Absichtserklärungen sind und was in den Verträgen rechtlich bindend verankert wird.

Ein abschreckendes Beispiel ist die Übernahme von Euronext durch die New York Stock Exchange (Nyse) 2006. Auch bei diesem Deal war von zwei Zentren des neuen Börsengiganten die Rede, nämlich New York und Paris. Und es gab dieselbe Führungsstruktur: Der CEO - kein anderer als Niederauer - kam von der Nyse, der Chairman Jean-François Théodore vom europäischen Partner. Nach relativ kurzer Zeit war Théodore abgetreten, der Konzern wird allein von New York aus geführt, und der Finanzplatz Paris hat seine Bedeutung weitestgehend eingebüßt.

Nachzuforschen ist also, welche Garantien es gibt, dass der Deutschen Börse und Frankfurt nicht dasselbe Schicksal droht. Wird die für den Konzern so wichtige Terminbörsensparte dauerhaft von Frankfurt aus geleitet? Ist irgendwo festgelegt, dass der Chief Financial Officer auch in ein paar Jahren noch in Frankfurt (oder genauer gesagt in Eschborn) residieren wird? Für welche der Aktivitäten des Konzerns am Finanzplatz Frankfurt wird es Garantien geben und für welche nicht? Und wie genau sehen die Garantien aus? Was ist mit der Besetzung der Gremien und der Schlüsselpositionen? Wird es dort in ein paar Jahren noch Europäer geben?

Diese Fragen sind nicht nur aus Sicht des Finanzplatzes von Interesse. Aufsichtsräte als Vertreter der Aktionäre sollten ebenfalls ein Auge darauf werfen, schließlich gibt es genug Beispiele von Missmanagement europäischer Tochterunternehmen durch Europa-unerfahrene Manager amerikanischer Muttergesellschaften.

Zu hinterfragen sind auch die in Aussicht gestellten Synergien von nicht weniger als 300 Mill. Euro. Diese dürften zweifellos durch Stellenabbau und die Zusammenlegung von Kapazitäten realisiert werden. Wo sollen die Streichungen stattfinden? Da Börsen mittlerweile in erster Linie IT-Unternehmen sind, dürften Einsparungen in diesem Bereich im Mittelpunkt stehen. Zu diesem Punkt ist die Information interessant, dass Nyse Euronext große Summen in ein Datenverarbeitungszentrum in der Nähe von London investiert hat und praktisch die gesamten zunächst in Paris beheimateten IT-Aktivitäten dorthin verlagert hat. Liegt nicht die Vermutung nahe, dass den Frankfurter IT-Bereichen dasselbe Schicksal droht?

Über eines sollten sich alle Beteiligten im Klaren sein: Die US-Manager von Nyse Euronext fühlen sich dem Finanzplatz Frankfurt in keiner Weise verbunden. Aber auch Reto Francioni scheint in Frankfurt emotional nicht allzu tief verwurzelt zu sein, wie der Umzug der Deutschen Börse nach Eschborn dokumentiert hat.

(Börsen-Zeitung, 12.2.2011)

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