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Börsen-Zeitung: Mit einem blauen Auge, Kommentar von Claus Döring zum Ende der Siemens-Korruptionsverfahren in Deutschland und in den USA

Frankfurt (ots)

Die Erleichterung des
Siemens-Aufsichtsratsvorsitzenden Gerhard Cromme war mit Händen zu 
greifen: Schneller als erwartet und mit geringeren Strafzahlungen als
befürchtet hat der Siemens-Konzern die Korruptionsverfahren gegen 
sich in Deutschland und in den USA beenden können. Umgerechnet 1,2 
Mrd. Euro wird Siemens am Ende an Geldbußen zahlen, je die Hälfte an 
die deutschen und an die amerikanischen Behörden. Selbst in Zeiten, 
in denen mit Milliardenbeträgen zur Rettung maroder Banken nur so 
herumgeschmissen wird, sind diese Strafzahlungen ein dicker Brocken. 
Die 800 Mill. Dollar Buße in den USA - 450 Mill. an das amerikanische
Justizministerium und 350 Mill. an die Börsenaufsicht SEC - sind der 
mit Abstand höchste Betrag, den ein ausländisches Unternehmen jemals 
im Zusammenhang mit Korruptionsvorwürfen löhnen musste.
Und dennoch: Siemens ist mit einem blauen Auge davongekommen. 
Gemessen am Horrorszenario, das sich noch vor Jahresfrist dem neu ins
Amt gekommenen Vorstandsvorsitzenden Peter Löscher darbot, kann sich 
das Ergebnis der schonungslosen Aufarbeitung dieser Korruptionsaffäre
sehen lassen. Denn die gesamten Geldbußen in diesem Fall bleiben noch
unter dem Betrag der mehr als 4000 Schmiergeldzahlungen im Volumen 
von 1,3 Mrd. Euro. Allein das amerikanische Justizministerium 
verhängt üblicherweise Bußen in Höhe eines Mehrfachen der 
Bestechungszahlungen. Die US-Behörde selbst weist darauf hin, dass 
sie ebenso gut einige Milliarden Dollar Buße hätte verlangen können.
Mit ihrer Milde belohnen die US-Behörden die große 
Kooperationsbereitschaft von Vorstand und Aufsichtsrat bei der 
Aufklärung der Affäre - Kritiker dagegen sprechen auch von völliger 
Unterwerfung der Siemens AG unter angelsächsische 
Rechtsgepflogenheiten. Fakt ist, dass wie einst Heinrich IV. zur Burg
Canossa auch die Siemens-Verantwortlichen im Büßerhemd in die USA 
reisen mussten. Allerdings war es nicht Heinrich v. Pierer, der für 
Siemens den Gang nach Canossa respektive Washington antrat, sondern 
seine Nachfolger an der Spitze von Vorstand und Aufsichtsrat, Peter 
Löscher und Gerhard Cromme. Nur sie konnten glaubwürdig jenen 
Neubeginn in der Führungskultur des Konzerns vertreten und ohne 
Rücksicht auf alte Seilschaften die Aufklärung vorantreiben.
Dass in solchen Fällen mit grobem Besen gekehrt wird, lässt sich 
kaum vermeiden. Wahrheit ist auch hier relativ und hängt im Fall der 
Siemens-Korruptionsaffäre von der Rolle des Betrachters als Täter, 
Mitwisser, Betroffener, Geschädigter oder Aufklärer ab. Aus der 
Perspektive der Mitarbeiter wie auch der Aktionäre lässt sich positiv
feststellen, dass die Ermittlungen der Behörden, die den Konzern 
laufend in den Schlagzeilen hielten, nach nur zwei Jahren zum 
Abschluss gebracht wurden. Die Höhe der Strafzahlungen relativiert 
sich angesichts des durch die Bestechungsgelder möglicherweise 
hereingeholten Auftragsvolumens und des Geschäftsvolumens des 
Konzerns insgesamt.
Entscheidend ist, dass schon das seit Oktober laufende neue 
Geschäftsjahr von der Korruptionsaffäre nicht mehr nennenswert 
belastet wird. Denn dank der guten Kooperation aller Beteiligten und 
in Erwartung der Einigung hat Siemens ziemlich genau jenen Betrag von
rund 1 Mrd. Euro noch im alten Geschäftsjahr zurückgestellt, der nun 
zur Zahlung fällig wird. Und eine weitere Hypothek bleibt Siemens 
erspart: Der Schuldspruch in den USA lautet nicht auf Bestechung, 
sondern Verletzung von Rechnungslegungs- und internen 
Kontrollpflichten. Damit ist Siemens der drohende Ausschluss von 
öffentlichen Aufträgen in den USA erspart geblieben. Für den weltweit
als Anbieter von Infrastruktur positionierten Siemens-Konzern kann 
dies angesichts der drohenden Rezession und der enormen öffentlichen 
Konjunkturprogramme nicht hoch genug bewertet werden.
Der Verdacht, die US-Behörden nutzten den Fall Siemens, um einem 
unliebsamen Konkurrenten der heimischen Anbieter das Leben schwer zu 
machen, hat sich nicht bestätigt. Auch die Ernennung des ehemaligen 
Bundesfinanzministers Theo Waigel als Compliance-Aufseher räumt mit 
dem Vorurteil auf, hier komme ein deutscher Konzern unter die Knute 
der US-Administration. Fakt ist: Die Details, die von den deutschen 
und amerikanischen Ermittlungsbehörden und den von Siemens 
beauftragten Anwälten und Wirtschaftsprüfern zusammengetragen wurden,
sind erschreckend. Ohne im Einzelnen Schuld zuzumessen - das ist 
Thema der Schadenersatzprozesse des Unternehmens gegen ehemalige 
Vorstände -, bleibt festzuhalten, dass die Siemens-Führung insgesamt 
versagt hat. Der Preis, den das Unternehmen dafür bezahlt hat, geht 
weit über die jetzt fixierten Beträge hinaus. Doch man muss Gerhard 
Cromme und Peter Löscher bescheinigen, aus der Not eine Tugend 
gemacht und mit der Reorganisation der Unternehmensführung Maßstäbe 
für die Compliance internationaler Konzerne gesetzt zu haben.
(Börsen-Zeitung, 16.12.2008)

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