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Der Tagesspiegel: Oskar Lafontaine im Interview zum Wachstumspakt Deutschland/Frankreich

Berlin (ots)

Oskar Lafontaine, ehemaliger Chef der SPD und
Bundeswirtschaftsminister, begrüßt den zwischen Berlin und Paris
ausgehandelten Wachstumspakt, verteidigt die Konjunkturpolitik der
70er Jahre und kritisiert die Geldpolitik der Europäischen Zen-
tralbank. Im folgenden das Interview im Wortlaut:
F: Berlin und Paris rücken enger zusammen, sie schaffen den
"Embryo einer europäischen Wirtschaftsregierung", wie Le Monde
schreibt. Ist Europa überhaupt fit dafür?
A: Europa wird nur fit werden, wenn der gemeinsamen Finanzpolitik
eine gemeinsame Wirtschaftspolitik gegenübergestellt wird. Es ist
gut, dass Deutschland und Frankreich endlich damit beginnen wollen.
Europa wird keine ordentlichen Wachstumsraten erreichen können, wenn
es keine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik gibt. Daher ist
das deutsch-französische Zusammenrücken ein Schritt, der längst
überfällig ist.
F: Birgt die Initiative nicht die Gefahr einen Nebenregierung
neben der Europäischen Kommission?
A: Die gemeinsame Wirtschaftspolitik, die in Paris und Berlin
gemacht wird, muss natürlich mit der Kommission abgestimmt sein. Aber
noch sind die Nationalstaaten diejenigen, die die entscheidenden
Weichenstellungen vornehmen. Daher muss hier die Zusammenarbeit
begonnen werden.
F: Werden sich die neuen Europäer nicht wieder übergangen fühlen?
A: Jedes Land ist eingeladen, sich der gemeinsamen
Wirtschaftspolitik anzuschließen. Das hatte der Kommissionspräsident
Jacques Delors schon vor vielen Jahren angeregt.
F: Die Konservativen in Frankreich wollen öffentliche Gelder zur
Förderung von Vorhaben für Stromerzeugung, Forschung und
Telekommunikation - was ist das: Die Rückkehr zu den
Investitionsprogrammen der 70er Jahre?
A: In den 70er Jahren waren die Wachstumsraten deutlich höher und
die Arbeitslosenraten deutlich niedriger als in der heutigen Zeit.
Warum? Weil eine rationale Wirtschaftspolitik gemacht wurde. Wenn die
Wirtschaft lahmt, muss der Staat durch Infrastrukturinvestitionen die
Wirtschaft ankurbeln. Notwendig ist auch die Änderung des
europäischen Stabilitätspaktes, den Nobelpreisträger Milton Friedman
zu Recht absurd nennt, weil er Europa daran hindert, eine vernünftige
Finanzpolitik zu machen. Wenn Konjunktur läuft, muss streng, eisern
gespart werden, wenn die Konjunktur lahmt, muss der Staat Geld
ausgeben.
F: Das klingt wieder nach Keynes, und der ist überholt.
A: John Maynard Keynes überragt als Ökonom alle Zwerge, die
behaupten, er sei überholt. In der ganzen Welt, vor allen Dingen in
der angelsächsischen, ist er immer noch hochaktuell. Es ist nur eine
deutsche Besonderheit zu glauben, die staatliche Finanzpolitik könne
man genauso machen wie ein Hausvater: in Pantoffeln.
F: Drängt die Zeit bei der deutsch-französischen Initiative?
A: Die Zeit drängt, denn im Vergleich zu Amerika und Japan hinkt
Europa hinterher.
F: Das erinnert an Vorschläge, die Sie und Frankreichs früherer
Finanzminister Dominique Strauss-Kahn gemacht haben. Reizt es Sie
nicht, an der Verwirklichung teilzuhaben?
A: Dominique Strauss-Kahn und ich hatten neben einer Änderung der
Finanzpolitik vorgeschlagen, der europäischen Zentralbank den
gleichen Auftrag zu geben, den die amerikanische Zentralbank hat. Sie
darf nicht in erster Linie auf die Preisstabili-tät fixiert sein,
sondern sie muss ebenfalls Wachstum und Beschäftigung fördern. Der
amerikanische Starökonom Lester Thurow hat Recht: Die Verfassung der
europäischen Zentralbank ist töricht. Gleichzeitig schlugen wir vor,
den Wechselkurs zwischen Euro und Dollar zu stabilisieren. Das ist
eine hochaktuelle Frage, wie man in den letzten Jahren bemerkt hat...
F: Jetzt müssen Sie aber...
A: Ja, Moment. Zu diesem Zweck sollten die europäschen
Stimmengewichte im Internationalen Währungsfonds gebündelt werden.
Dies hätte zur Folge, dass sich nach der Satzung des Währungsfonds
der Sitz nach Europa verlagern würde. Wenn die richtige Politik
gemacht wird, ist es unwichtig, wer sie macht.
Inhaltliche Rückfragen richten Sie bitte an:
Der Tagesspiegel, Ressort Politik, Telefon 030/26009-389
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Rückfragen bitte an:

Der Tagesspiegel
Thomas Wurster
Chef vom Dienst
Telefon:030-260 09-419
Fax: 030-260 09-622
Email:thomas.wurster@tagesspiegel.de

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