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Korruptionsvorwürfe gegen Mobilfunk-Konzern Ericsson

Hamburg (ots)

Der Mobilfunkkonzern Ericsson hat offenbar über Jahre hinweg Politiker und Entscheider in mehreren Ländern bestochen, um an Aufträge zu gelangen. Das geht aus einem internen Bericht hervor, den NDR, WDR und Süddeutsche Zeitung mit internationalen Medienpartnern ausgewertet haben.

Die vertraulichen Dokumente listen mutmaßliche Korruptionsfälle und anderes Fehlverhalten in mehr als einem Dutzend Ländern auf. Sie legen auch den Verdacht nahe, dass Gelder aus dem Konzern an Terroristen geflossen sind. Einer der Berichte, die eine anonyme Quelle dem Internationalen Konsortium Investigativer Journalistinnen und Journalisten (ICIJ) zugespielt hat, untersucht das Irak-Geschäft von Ericsson von 2011 bis 2019. Die internen Ermittler*innen haben hierfür umfangreiches Material, darunter Millionen E-Mails und Akten ausgewertet und zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter befragt. Im Irak seien Offizielle mit teuren Geschenken, aber auch mit Zahlungen in Millionenhöhe bedacht worden. In dem Papier werden unter anderem Verfehlungen in den Bereichen "Korruption und Kickbackzahlungen, Betrug und Unterschlagung, Geschenke und Unterhaltung, Buchhaltung und Finanzen" aufgelistet.

Der Bericht führt allein im Irak verdächtige Zahlungen in einer Höhe von Dutzenden Millionen Dollar auf. Dabei könnten auch Ericsson-Gelder an Terroristen des Islamischen Staates geflossen sein. So transportierte ein irakisches Unternehmen im Auftrag des schwedischen Konzerns über einen längeren Zeitraum Ericsson-Ausrüstung von Erbil im Nordirak in das zentral gelegene Ramadi. Hierbei wählte das Unternehmen offenbar immer wieder eine Route, die durch ein Gebiet führte, das von Terroristen des so genannten Islamischen Staates (IS) kontrolliert wurde. Offenbar sollte durch die Wahl der gefährlichen Strecke Zeit gespart werden. Augenzeugen berichten NDR, WDR und SZ davon, dass auf der Strecke grundsätzlich eine Art "Wegezoll" angefallen sei, den Fahrer an islamistische Milizen hätten zahlen müssen. Tatsächlich konnten die internen Ermittler zahlreiche derartige Fahrten im Auftrag von Ericsson identifizieren, bei denen deutlich erhöhte Kosten abgerechnet wurden. Der Bericht kommt zu der Einschätzung: "Die höheren Kosten wurden vermutlich für Bestechung genutzt und Zahlungen an lokale Milizen entlang der Transportroute."

Auf Nachfrage von NDR, WDR, SZ und zahlreicher Medienpartner wollte sich der Konzern zu den Anschuldigungen nicht äußern. Stattdessen kam er einer Veröffentlichung durch eigene Statements zuvor, in denen Ericsson einige der Vorwürfe einräumte. Die Ericsson-Aktie war daraufhin um fast 20 Prozent eingebrochen. Ericsson-Chef Börje Ekholm erklärte , dass man nicht ausschließen könne, dass Gelder auch an den so genannten IS geflossen sein könnten. "Wir wissen manchmal nicht, wohin das Geld gegangen ist, aber wir sehen, dass Geld verschwunden ist", sagte er über die interne Irak-Ermittlung. Terrorismusfinanzierung sei komplett inakzeptabel und werde von Ericsson nicht geduldet.

Der interne Bericht zeigt weiter, dass Ericsson im Irak offenbar auch dann seine Geschäfte weiterführte, als der so genannte IS Landgewinne verzeichnen konnte und unter anderem Mossul eingenommen hatte. Durch die Entscheidung gerieten mehrere Arbeiter, die für ein von Ericsson beauftragtes Subunternehmen in Mossul beschäftigt waren, in erhebliche Gefahr. Ein Ingenieur wurde bei seinem Einsatz, im Juli 2014 von islamistischen Terroristen entführt. Nach mehreren Wochen kam der junge Mann unter ungeklärten Umständen wieder frei. Ob Lösegeld gezahlt wurde und gegebenenfalls von wem, ist unklar. Der junge Mann, der noch immer an den Folgen seiner Entführung leidet, erhebt im Interview mit dem NDR schwere Vorwürfe gegen Ericsson: "Für mich ist der Hauptverantwortliche Ericsson, weil das Unternehmen für das Projekt verantwortlich war. Sie haben uns ständig gedrängt, das Projekt fortzusetzen, nicht aufzuhören. Nicht einmal einen Tag. Egal, was es kostet". Auf eine konkrete Nachfrage zum Entführungsfall wollte sich Ericsson nicht äußern.Der schwedische Weltkonzern ist bis heute im Irak tätig und erklärte öffentlich, der Irak sei eines aus einer Reihe von Ländern, in denen es erhöhte Risiken für die Sicherheit von Kollegen gäbe, man beobachte dies sehr genau.

Ericsson zahlte 2019 in den USA eine Strafe in Höhe von einer Milliarde Dollar in einem Vergleich mit dem amerikanischen Justizministerium und der dortigen Börsenaufsicht wegen unlauterer Geschäftspraktiken in mehreren Ländern. Durch Bestechung und Gefälligkeiten an Regierungsmitglieder habe sich der Konzern lukrative Aufträge erschlichen, so der Vorwurf der US-Behörden. Es ist unklar, ob die nun öffentlich gewordenen Vorwürfe amerikanischen und schwedischen Ermittlern bereits bekannt sind. Amerikanische Behörden wollten sich hierzu nicht äußern. Ericsson erklärte, man habe nach der internen Untersuchung zu den Vorfällen im Irak harte Maßnahmen ergriffen und arbeite weiter an Verbesserungen der internen Strukturen. Erst im Oktober 2021 allerdings musste der Konzern eingestehen, teilweise Auflagen aus seinem Vergleich mit den US-Behörden verletzt zu haben.

Die Rechercheergebnisse werden ab sofort weltweit unter dem Stichwort "the Ericsson List" veröffentlicht. Die Recherche entstand international unter Führung des Internationalen Konsortiums Investigativer Journalisten (ICIJ). In Deutschland sind NDR, WDR und SZ Teil des Projekts #ericssonlist.

27.2.2022

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