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Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Neonazi-Mordserie:

Bielefeld (ots)

Jahrelang hat es gedauert, bis die Familien einfach nur Opfer sein durften. Jahrelang sind sie verdächtigt worden, statt ernst genommen zu werden. Jahrelang blieben sie allein. Die Tatsache, dass ihre Angehörigen von Neonazis ermordet wurden, ist heute Gewissheit und Beunruhigung zugleich. Die Opferfamilien wurden von Verdächtigungen erlöst, wissen nun aber unumstößlich, dass es Menschen im Land gibt, die sie nicht haben wollen. Das darf Deutschland nicht akzeptieren. Ein Gedenktag, bei dem die Opfer im Mittelpunkt stehen und zu ihren Ehren geschwiegen wird, ist ein Anfang. Eine Lösung ist er nicht. Dazu muss das Schweigen gebrochen werden. Warme Worte von Politikern, die klare Aussage scheuen, sind keine Hilfe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat sich gestern bei der Gedenkfeier nicht gedrückt. Sie bat die Familien der Opfer um Verzeihung und gestand Fehler bei der Ermittlungsarbeit ein. Außerdem mahnte sie mehr Sensibilität an. Wahrscheinlich hat sie dabei zuerst an die staatlichen Organe gedacht. Angela Merkel meinte aber auch die Bevölkerung. Und die Kanzlerin hat Recht. Es sind die kleinen Bemerkungen, denen viele Deutsche im Alltag immer wieder begegnen und zu denen allzu oft geschwiegen wird. Sie kommen nicht nur von Männern in Springerstiefeln. Nadelstreifenanzug und Markenkleidchen befreien nicht von einer rechtsgerichteten Gesinnung. Hier ist die Gesellschaft gefordert, den Mund aufzumachen, wenn sich rechte Tendenzen Bahn brechen. Überall wird beteuert, dass Deutschland aus der Neonazi-Mordserie gelernt hat. Stimmt das wirklich? Zweifel daran sind berechtigt, wenn gestern die Bezeichnung des Vaters eines Opfers als Dönerbuden-Besitzer den Fernsehberichterstattern mal wieder wichtiger ist als die Tatsache, dass sein Sohn in einem Internet-Shop ermordet wurde und in seinen Armen starb. Es muss den Angehörigen die Zornesröte ins Gesicht treiben, wenn sie gestern Zeitungen aufgeschlagen haben und ihnen Geschichten über und mit Bildern der Täter präsentiert wurden. Dabei standen die Opfer gestern im Mittelpunkt! Die Achtung vor den Getöteten und Hinterbliebenen ist das eine. Die zentrale Aufgabe lautet aber: So etwas darf nie wieder passieren. Das kann nicht zur Floskel werden. Stellt sich also die Frage, ob die Politik gelernt hat. Kommission und Untersuchungsausschüsse reichen nicht aus. Wenn die Kooperation zwischen dem Verfassungsschutz auf Bundes- und Länderebene nicht schleunigst verbessert wird, kann es wieder Neonazi-Mordserien geben. An dieser entscheidenden Schnittstelle hat sich, abgesehen von Absichtserklärungen,bislang gar nichts getan. Um es mit den Worten von Semiya Simsek, deren Vater im September 2000 erschossen wurde, zu sagen: »Lasst uns gemeinsam verhindern, dass das anderen Familien passiert!«

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Nachrichtenleiter
Andreas Kolesch
Telefon: 0521 - 585261

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